Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
Vom Netzwerk:
geschlachtet, mein Lieber«. Ein Ferkelchen, dass er selbst bei sich daheim aufgezogen und gemästet hatte; was in der Siedlung nichts Außergewöhnliches war, da neben Hühnern, Enten, Tauben, Kaninchen und Meerschweinchen alle Welt auf dem gestampften Lehmboden in der Küche auch Lämmer, Zicklein und Schweine hielt.
    An diesem Abend war unter den zum Schmaus geladenen Frauen auch die verrückte Maluenda, die sich, als sie sah, dass der Traumkicker ohne Begleitung war, wie eine Klette an ihn hängte. »Die Rothaarige lässt dich ja nicht mal allein aufs Töpfchen«, flötete sie immer wieder. Und sie füllte ihm beständig das Glas, schob ihm ihren gewaltigen Busen vor die Nase und forderte ihn kess auf, mit ihr auf die »runden Sachen« anzustoßen.
    »Auf die runden Sachen, Schätzchen!« Und dabei brüllte sie vor Lachen.
    Der arme Expedito González war schon jenseits von Gut und Böse, saß nur da mit seinem Stirnband als Krawatte und seinem von Wein triefenden Ball, kicherte dämlich und sah uns alle aus seinen Augen eines kranken Uhus an. Über die vom Hausherrn geschmetterten Rancheras und die Zoten und Aufdringlichkeiten der verrückten Maluenda hinweg (die von allen Frauen das gewagteste Dekolletee und den kürzesten Minirock trug) erzählte er uns dann wieder aus seinem Leben und vor allem davon, wie schwer es ihm gefallen sei, seinen Traum vom Fußballspielen aufzugeben.
    Am tiefsten traf es ihn, und am bittersten klagte er darüber, dass er, komme, was da wolle, niemals im Leben fühlen werde, was einer fühlt, der ein Tor schießt, seinen Gegner ausspielt, den perfekten Pass schlägt; niemals werde er den überschwänglichen (und wie er sich ausmalte, erhebenden) Jubel einer Ehrenrunde erleben, nie Arm in Arm mit seinen Mitspielern mit nacktem Oberkörper durch ein vollbesetztes Stadion laufen und den Pokal in die Höhe recken, bis zum Himmel hoch.
    Er war ein frühreifes Kind gewesen; man hatte ihn aus seiner toten Mutter gezogen, und er war mit diesem Hodenbruch zur Welt gekommen, der zusammen mit ihm, wenn nicht schneller, heranwuchs. Als sehr kleines Kind, ihm war noch nicht klar, was sein Gebrechen bedeutete, hatte er immer, wenn Green Cross einen schlechten Tag hatte, zu seinem Vater gesagt, er werde einmal, wenn er groß wäre, die Farben des Clubs tragen und dann würden sie kein Spiel mehr verlieren. Sein Vater hatte ihn mit schwimmenden Augen mitleidig angesehen, ihm liebevoll das Haar zerwühlt und gesagt, natürlich, mein Sohn, und dass er jeden Sonntag von der Tribüne seine Tore und meisterhaften Spielzüge bejubeln werde.
    (Da fiel uns wieder ein, dass sein Vater ihn auf dem Weg zum Stadion nicht auf den Schultern hatte reiten lassen, und es ging uns ein Licht auf, wieso.)
    Im Lauf der Zeit war ein trauriges Kind aus ihm geworden, eine Waise ohne Vater und Mutter, er war sich seines körperlichen Handicaps bewusst geworden, und als Ausgleich dafür, dass er nie mit seinen Freunden Fußball spielen konnte, begann er seine einsamen Balljonglagen. Erst ausschließlich mit dem Kopf, dann mit Kopf und Schultern, danach mit Kopf, Schultern undBrust. Später hatte er gelernt, den Ball mit den Knien zu kontrollieren, und endlich auch mit den Füßen, was ihm am schwersten fiel. Dafür musste er sich eine Art schützende Windel anlegen, die er sich ausgedacht hatte; in der legte er sich seinen »Bobo« zurecht, damit er ihn nicht, oder nur minimal, streifte und ihm möglichst viel Bewegungsfreiheit blieb. Das war auch die Zeit gewesen, in der er (ebenfalls eine Folge seiner Einsamkeit) zu einer Leseratte wurde. Allerdings nur, wenn die Texte etwas mit Fußball zu tun hatten. So lernte er nicht nur jede Menge über die Geschichte und die Ursprünge des Fußballs, sondern auch Namen, Nationalität und Farben den bedeutendsten Clubs der Welt. Zum Beweis sagte er uns hier (in unseren Ohren ein echter Zungenbrecher) die Namen sämtlicher Spieler der schwedischen Nationalmannschaft auf, die bei der Weltmeisterschaft 58 im eigenen Land gegen Brasilien das Finale verloren hatte.
    »Zwar ging die schwedische Elf zunächst durch ein Tor ihres Kapitäns Liedholm in Führung«, dozierte er im Ton des Kenners der Materie, »verlor dann aber das Spiel mit drei zu eins und damit den Titel. Die Tore für Brasilien schossen Vavá, Pelé und Zagallo, und die Brasilianer wurden ungeschlagen Weltmeister.«
    Seit er nach der fünften Klasse die Schule verlassen hatte, erzählte er uns an diesem Abend hicksend und

Weitere Kostenlose Bücher