Der Traumkicker - Roman
hinaus zum Spielfeld, um das sich eine beeindruckende Menschenmenge geschart hat, meine Damen und Herren, wunderschön, liebe Hörerinnen und Hörer, wunderschön sieht er aus, unser Platz mitten im kahlsten Nirgendwo, bildhübsch so beflaggt und umstanden vom Publikum, und je näher wir kommen, desto schöner wirkt er, ja geradezu wie ein richtiges Stadion, meine Damen und Herren, nie zuvor habe ich so viele Menschen hier draußen gesehen, und während die Parade vor der Tribüne zum Stehen kommt, wo man gleich die Nationalhymne anstimmt und ein paar offizielle Reden schnaubt, mache ich mich auf den Weg um den Platz, um Ihnen zu berichten, was meine Augen in diesem Zuschauermeer entdecken, in diesen beeindruckenden Publikumsmassen, und was meine Augen entdecken, verehrte Hörerinnen und Hörer, sind einige Damen, die sich bequemste Sitzmöbel von daheim mitgebracht haben und denen schon Meilen gegen den Wind anzusehen ist, dass sie ihre Nase zum ersten Mal einem Fußballplatz genähert haben, und genau hier sehen wiretliche (einige davon älter als die Krätze, andere hässlicher als eine Refluxösophagitis) in ihren schäbigen Weidensesseln sitzen, und ein Stück weiter, hinter dem Westtor, können wir die Familie der Katzenfresser ausmachen, die es sich vollzählig mit unterschlagenen Beinen auf einem alten Sofa mit Blümchenmuster bequem gemacht hat, und so, wie sie da posieren, sollte man ein Foto von ihnen machen und an die Zeitschrift Stadion schicken; viele Leute haben auch ihre Sonnenschirme dabei, ihre Wasserflaschen und einen Happen gegen womöglich aufkommenden Hunger, wie etwa unsere wunderbare María Marabunta, die ein Plüschsofa ganz für sich allein hat, sich darauf flätzt und sich ein Dutzend hartgekochter Eier und Mortadellabrötchen einverleibt, und wenn wir weiter schauen, entdecken wir noch mehr Leute, die wir noch nie bei einem Spiel gesehen haben, Leute, die sich heute, den Tränen nah, hier eingefunden haben wie zur Totenmesse für einen verstorbenen Angehörigen, denn darum handelt es sich, liebe Zuhörer, meine verehrten Patienten, genau darum handelt es sich heute: Dieses Spiel ist wie die letzte heilige Messe für unsere geliebte Siedlung, deshalb sind hier heute alle, die heute hier sind, deshalb sind heute … aber halt, was sehen meine Augen, Sie werden es nicht glauben, liebe Hörerinnen und Hörer, aber eben entdecke ich hinter den dicht gedrängten Menschen dort an der Südseite den Kuttenmann, der mehr als einmal versucht hat, mir den Teufel auszutreiben, ja, liebe Zuhörer, Bruder Zacarías Ángel ist ebenfalls hier, da schau einer an, wer hätte gedacht, dass wir eines Tages dieses Kataplasma leibhaftig bei einem Fußballspiel sehenwürden, dass dieser eitrige Ausfluss der großen bösen Geschwulst, dieses amphipathische Phospholipid sich ausgerechnet hierher ergießt!
VI
»Euer Friedhof sieht gar nicht aus wie all die anderen, die ich unterwegs am Straßenrand gesehen habe«, hatte der Traumkicker an dem Tag gesagt, als wir ihm das Grab von Lito Contreras zeigten.
Weil nämlich diese verlassenen Wüstenfriedhöfe mit ihren offenen Gräbern, ihren verwitterten Kreuzen und verrosteten Blechkränzen wie traurige Äcker des Todes wirkten, dem Vergessen schutzlos ausgesetzt und preisgegeben. Der Anblick der geschändeten Gräber und ihrer im flimmernden Sand treibenden Toten glich einem Blick geradewegs in die Hölle. Doch obwohl diese Friedhöfe allen Glanz verloren hatten, wohnte ihnen weiter eine mächtige Kraft inne, eine Anziehung, die man so deutlich spürte wie den schneidenden Wind in den Straßen der verlassenen Ortschaften, zu denen sie einst gehört hatten. Besuchte man sie (die Orte oder die Friedhöfe), war es, als trete man in eine vergangene Zeit ein und finde, was die Menschen dort tief gefühlt und empfunden hatten, wie in den Staub gebannt vor.
An diesem Samstag, dem ersten November, sah Expedito González (der noch immer ohne Nachricht von der Rothaarigen war und unruhig und fahrig wirkte) bestätigt, was er über die Schönheit unseres Friedhofs gesagt hatte.
Weil er so aufrichtig über die vielen Menschen staunte, die sich dort drängten, erklärten wir ihm mit stolzgeschwellter Brust, ja, so sei das in der Tat, mein Bester, unser Friedhof gelte nicht von ungefähr als einer der schönsten und am besten gepflegten im gesamten Zentralbezirk.
Seit dem frühen Morgen trafen aus den umliegenden Salpetersiedlungen Züge in Coya Sur ein, die das Unternehmen
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