Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
E-Mail-Postfach.
Keine Post von Hilda. Zugegebener Maßen war es Emilia, die seit geraumer Zeit mit den Jammermails anfing. Hilda jammerte zwar auch hin und wieder, weil sie sich überfordert fühlte mit zwei kleinen Töchtern – Marie war sechs und Elli fünf – und ihrem Job. Hilda arbeitete als Physiotherapeutin in der ambulanten Abteilung eines Krankenhauses und machte manchmal auch Vertretung auf einer Station. Nebenher hatte sie auch noch begonnen, ein Buch über Entspannung und Bewegung im Alltag zu schreiben. Emilia war es ein Rätsel, wie sie das alles schaffte. Doch beziehungsmäßig schien Hilda fest im Sattel zu sitzen. Marco und Hilda waren ein eingespieltes Team. Emilia nahm einen großen Schluck Rotwein und schrieb:
Betreff: immer dasselbe
Liebe Hilda,
ich hab mal versucht, „es“ als Job zu betrachten, als Dienstleistung, als Liebesdienst … und vor allem hab ich versucht, aktiv zu sein, aktiv „Atmosphäre staubsaugen“ sozusagen, aber es war eine einzige Katastrophe. Ich wollte eigentlich mit ein paar Sachen NOCH HEUTE ABEND vor deiner Tür stehen, aber ich hab’s nur bis zur Badewanne geschafft, sie voll geheult und dann den Stöpsel gezogen. Jetzt geht’s wieder. Morgen wollen Bernhard und ich was zusammen unternehmen, ein bisschen raus, in den Wald. Wahrscheinlich ist alles nur so schwierig, weil ich so schwierig bin. Würde ich alle drei Tage wollen, wäre alles in Ordnung, würden wir gar nicht in diese Stimmungstiefs geraten. Denn ansonsten ist doch unser Leben völlig okay.
Und bei dir? Ist Marie wieder gesund?
Deine lustlose Emilia
Emilia beantwortete noch eine Anfrage wegen einem neuen Lektorat und einen Gruß von ihrer Mutter, die gerade lernte, mit Emails umzugehen und stöberte bei Amazon nach neuen Büchern oder Filmen. Dann schaltete das Icon neben Hildas Namen in der Mailbox von grau auf grün. Hilda war online. Augenblicke später blinkte eine Nachricht im Google-Chat auf:
Hilda: Oh man, ich wünschte echt, der Weg zur Badewanne wäre weiter gewesen, als der zu mir.Es ist nicht auszuhalten. NATÜRLICH hat man keine Lust mehr, wenn man sich nicht mehr liebt. Aber das hab ich ja schon so oft gesagt. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll. Dich mit einer Zwangsjacke abholen lassen?
Emilia: Jetzt machst du es aber schlimmer als es ist.
Hilda: Es ist schlimm! Emilia, du bist jung, schön, begabt, gesund. Warum holst du dir nicht einfach dein Leben zurück? Warum bist du nur so masochistisch?
Emilia: 36 ist nicht mehr besonders jung; hübsch, okay, aber nicht schön; nicht dumm vielleicht, aber begabt?… sonst bist du doch immer die, die auf nackten Realismus besteht … okay, gesund stimmt … aber ansonsten bin ich mittellos, ohne Bernhard komplett arbeitslos und hab nebenher noch ein großes Kind zu versorgen … das mit dem Endlosrausch der Liebe ist doch eine völlig überzogene Vorstellung.
Hilda: Ich bin mit Marco auch nicht im Endlosrausch der Liebe . Wir sind aber trotzdem glücklich.
Emilia: Wie schön für dich. Dadurch ist es einfach für dich, mich zu Entscheidungen zu drängen, die du selbst nicht fällen musst.
Hilda: DU hast geschrieben, dass du mal wieder kurz vor der Trennung stehst.
Emilia: Ja, aber es gibt ja keine Alternative. Ich meine, am Schluss ist meine Beziehung immer noch besser als allein zu sein.
Hilda: Das sehe ich völlig anders.
Emilia: Das ist mir völlig klar. Du willst ja nicht mehr hören, dass es mit Bernhard manchmal auch nett ist.
Hilda: NETT sind meine Nachbarn …
Emilia: Du siehst überhaupt nicht mehr das Positive zwischen mir und Bernhard.
Hilda: Das stimmt, ich sehe nur zwei Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben, sich aber lieber mit ihrer gegenseitigen Anwesenheit quälen, statt sich freizugeben, weil sie zu feige sind, allein zu sein.
Emilia: Du bist mir echt keine Hilfe.
Hilda: Wie auch, du lässt Dir ja nicht helfen.
Emilia: Ach, lasst mich doch alle in Frieden. Gute Nacht …
Emilia sah noch, dass Hilda eine Antwort schrieb, aber sie klickte das Emailprogramm wütend weg. Sie wollte jetzt nichts mehr hören, nichts mehr lesen, nicht mehr mit Ratschlägen verprügelt werden. Sie ärgerte sich, dass sie überhaupt mit dem Thema angefangen hatte. Hildas Einstellung kannte sie ja. Dabei wollte sie doch einfach nur getröstet werden. Danach würde es schon irgendwie weitergehen, wieder ein paar nette Tage kommen.
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