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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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die Pferde aufhorchen ließ. Cinna richtete sich auf dem Rücken des Hengstes auf, um wenigstens den Versuch zu unternehmen, Ausschau zu halten, als ein Schatten sich auf ihn stürzte. Er riss die Arme hoch, um das Gesicht zu schützen, sein Pferd bäumte sich auf und sprengte mit einem jähen Satz davon. Im Sturz umklammerte er die Zügel und wurde durch Laub und aufgewühlte Erde geschleift, bis das erschöpfte Tier dem scharfen Zügelzug gehorchte, langsamer wurde und stehen blieb.
    Fluchend rappelte Cinna seinen zerschlagenen Körper auf, und erhob wütend die Faust gegen das Pferd, das schnaubend den Kopf hochwarf. Doch er besann sich, murmelte begütigend auf das verstörte Tier ein und streichelte die weiche Nase, die sich in seine Hand schmiegte. Seine Kleidung war in einem rettungslosen Zustand, das Hemd zerrissen und die Hose triefte von lehmigem Wasser.
    Ein Wiehern durchschnitt die Dunkelheit. Er hörte Hufe im Morast trappeln und klatschen, raschelndes Laub und das Knacken von splitterndem Holz, Sunjas Stimme, die ihn rief. Er antwortete, hörte sie näher kommen, ihr Pferd durchbrach das Dickicht, und sie stieß einen erstickten Laut aus, als sie ihn im nächtlichen Zwielicht sah.
    Er atmete auf, als Sunja ihm Tasche und Umhang entgegenstreckte, die er beim Sturz verloren hatte. Die Vorräte darin waren verdorben, das Hemd feucht, aber Thauris’ Beutel mit Feuerstein und Erz war unversehrt. Erleichtert wechselte er das Hemd und legte sich den Umhang um; die Fibel war ausgerissen, aber es würde reichen. Es musste reichen.
    Mürrisch stapfte er auf dem schmalen Pfad voran, den Grauen am Zügel führend. Zweige schnellten ihm ins Gesicht, doch er wich nicht länger aus, schob sie nicht länger vorsichtig zur Seite, es war nutzlos, eher wusch ihn das nasse Laub.
    Irgendwann hatte er begonnen, vor sich hin zu murmeln wie ein alter Mann, weil ihn die von fremdartigen Lauten durchwobene Finsternis beunruhigte, ja, er musste sich eingestehen, dass sie ihn ängstigte. Er nahm Zuflucht zu sämtlichen Versen, die er auswendig hersagen konnte, ob er sie nun schätzte oder nicht. Ihm blieb schleierhaft, warum ihn ausgerechnet in dieser trostlosen Lage das frömmelnde Jahrhundertlied des Horatius Flaccus heimsuchte, mit dem Caesar Augustus eine uralte Tradition hatte Wiederaufleben lassen – vor allem um seine strengen Ehegesetze zu feiern, die Cinnas Vater veranlasst hatten, nochmals zu heiraten, was immerhin zwei Jahre später zu seiner Geburt geführt hatte.
    Verdrossen stapfte Cinna durch den Morast. Was hatte es dem alten Herrn schon genutzt? Die beiden älteren Söhne waren verstorben, der jüngste, der sich ziellos durch die Wälder der Germania schlug, galt sicher längst als tot, und die eigensinnige Tochter Lucilla war ihm gewiss kein Trost.
    Der Ruf eines Käuzchens ließ den Hengst scheuen. Begütigend sprach Cinna auf das Pferd ein und erzählte ihm von wunderschönen Stuten, paradiesischen Weiden und warmen, trockenen Stallungen, die seiner in Perusia harrten als Lohn der Treue, während er Tropfen von den Wimpern blinzelte und versuchte, den Pfad nicht aus den Augen zu verlieren. Sunja folgte ihm schweigend durch den dünn bestandenen Wald, in dessen Kronen der Regen rauschte, und schwere Tropfen klatschten vom Blätterdach herunter.
    Auf dem Sattel eines Hügelzuges entdeckte Cinna einen natürlichen Schlupfwinkel, einen Felsüberhang, von starken Wurzeln gehalten. Er blieb stehen und wartete auf Sunja, die schlaftrunken auf ihrer dahintrottenden schwarzen Stute saß, brachte das erschöpfte Tier zum Stehen, was sie weckte. Seinen stummen Wink auf die Felsen erwiderte sie mit einem Nicken. Steif glitt sie zu Boden, ihre Knie knickten ein, doch sie konnte sich am Sattel festhalten. Er führte die Tiere zu einem Baum neben dem Unterschlupf, wo er sie festband, absattelte und die Vorderhufe lose zusammenkoppelte, ehe er den Schutz der Felsen aufsuchte, wo er die beiden Satteldecken auf dem Boden ausbreitete. Erst dann bemerkte er, dass sie mit verschränkten Armen am Rande des Pfades stehen geblieben war. Die halb aufgelösten Zöpfe fielen über ihren Rücken, nassdunkle Strähnen hingen ihr wirr in Stirn und Schläfen, das ehemals weiße Kleid klebte am Körper. Weil sie zögerte, klopfte er sacht neben sich auf die Decke, bis sie auf unsicheren Beinen näher kam und sich an der Rückwand des Überhangs niederließ, wo sie ihre Beine umschlang und das Gesicht auf die Knie legte, um das Schlottern

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