Der Tribun
Gebell hinter ihm anschlug, begriff Cinna, dass sein Vorsprung geringer war als erhofft. Rufe hallten durch den Wald. Er nahm die Zügel auf und ermunterte den Grauen, den steilen Hang zur Linken zu erklimmen. Aber der Hengst hatte Mühe auf dem Teppich aus Tannennadeln, rutschte, bockte und warf den großen Schädel herum. In diesem Augenblick glitt Sunja auf den Boden.
Cinna brachte das Pferd sofort zum Stehen. Bestürzt starrte er in ihre Augen, las dort grimmige Entschlossenheit, als sie in die Mähne der Stute griff und sich auf deren Rücken zog. Unvermittelt war sie neben ihm und trieb das Tier mit Schenkeldruck und Zungenschnalzen den Berg hinauf. Cinna ließ die Führungsleine fahren.
Als sie den schmalen Grat erreichten, trug der Wind gedämpft die Stimmen der Menschen und Hunde, die wohl noch immer nicht die Stelle gefunden hatten, wo sie das Flussbett verlassen hatten. Im schnellen Trab ritten sie in das angrenzende Tal hinunter, Sunja, weil sie die Gegend kannte, vorneweg. Warm durchrieselte Cinna der Triumph, dass er sie Daguvalda entrissen hatte, dass er sie vielleicht ihrem Vater zurückgeben konnte, vielleicht würde man ihn dafür sofort dem römischen Heer überstellen, vielleicht konnte er sie einfach irgendwo in Sicherheit bringen. Ein fernes Japsen, der Nachhall eines Rufes sträubten sein Nackenhaar. Alles, was jetzt zählte, war die Flucht. Wenn er nur wüsste, wohin er sich wenden sollte.
Sie zumindest schien es zu wissen.
In der Talsohle trafen sie auf einen weiteren Bach, den sie die Pferde aufwärts durchwaten ließen, bevor sie sich in einem weiten Bogen Richtung Westen wandten. Das Licht glitzerte in den Zweigen, die ihre Gesichter peitschten. Bisweilen schloss sich der Wald so dicht um sie, dass er sogar das Geräusch des Hufschlages verschluckte. Ein Rudel Rehe scheute vor ihnen und hüpfte durch das Unterholz davon.
Endlich brach Licht durch das Laub; sie erreichten eine hell schimmernde Lichtung, vor ihnen hoher Buchenwald. Sunja brachte ihr Pferd zum Stehen und drehte sich um.
»Wir müssen leise sein«, flüsterte sie. »Kaum hundert Schritt entfernt liegt das Wehrdorf.«
Cinna tat einen unterdrückten Ausruf, den sie mit einem raschen Wink unterbrach. »Niemand wird damit rechnen, dass du es wagst, so dicht vorbeizureiten. Sie werden glauben, du hättest dich verirrt – oder ich hätte dich in die Irre geführt.«
Misstrauisch verengte Cinna die Augen. »Wenn du versuchst –«
»Sie würden uns töten«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich kenne Daguvalda jetzt. Er ist Arminius’ Mann. Früher oder später würden sie uns töten. Dich vielleicht sofort – wenn du Glück hast! Und ich wäre eine Geisel, Faustpfand für die erzwungene Treue meines Vaters. Und vielleicht sogar Saldir und Inguiomers.«
Sie wendete die schwarze Stute und spornte sie an. Schweigend ließen sie ihre Pferde hintereinander laufen, erreichten nach einer kurzen Strecke die Passhöhe weit oberhalb des Flusses, wo sie einen überwucherten Pfad gegen die Sonne einschlugen.
*
Sie hatten Inguiotars Land schon ein gutes Stück hinter sich gelassen, als die Pferde durch lichten Buchenbestand trotteten, der den Berg hinaufwuchs. Wo der Hang eine leichte Mulde bildete, erhob sich eine mächtig ausladende Rot buche. Um sie breitete sich in sattem Grün ein Teppich aus Gras und Moos, der zur Rast einlud. Während Cinna noch zögerte, hatte der Graue bereits die Schnauze in die verlockende Pracht getaucht und drängte schnaufend und kauend in den Schatten.
Als er das andere Pferd schnauben hörte, drehte er sich um; Sunja war abgestiegen und mit dem Tier wenige Schritte hinter ihm stehen geblieben. Unruhig fingerte sie an den Zügeln, während sie ihn anstarrte.
»Wir müssen rasten«, rief er ihr zu und wies auf den Grasteppich.
Sie gab der Stute einen Klaps, und diese stakste mit hängenden Zügeln die wenigen Schritte zu dem erfrischenden Flecken hinauf. Sie selbst setzte sich nur zögernd in Bewegung. Cinna wandte sich dem Rastplatz zu, doch bevor er ihn erreicht hatte, fand er sich heftig umklammert.
Sunja presste ihre spröden Lippen auf seine. Verblüfft hielt er still, als sie ihn wieder und wieder küsste, spürte, wie kalte, zitternde Finger unter sein Hemd glitten, über seine Haut fuhren. Sie suchten den Knoten des Gürtels, und ein glimmender Schauer durchrieselte ihn, als sie an den Schlingen nestelte, ungeduldig zerrte. Hart packte er ihre Oberarme, doch sie hörte nicht auf, seinen Mund zu
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