Der Tribun
Arme um die Knie geschlungen und langsam vor und zurück wippte. Manchmal musterte sie ihre Zehen, summte eine traurige Melodie, oder blies in die Glut, um diese neu anzufachen, und er wusste, dass es Erschöpfung war, die sie frösteln machte. Er sehnte sich danach, sie in den Armen zu halten, um wie ein Kind an der Brust der Wärterin sicher einzuschlummern, beschützt vor bösen Träumen; aber er würde es nicht bei einer Umarmung belassen – ebenso gut hätte er gegen die lernaeische Hydra antreten können.
XXII
Als Cinna und Sunja ihre Zuflucht am folgenden Tag verließen, fielen nur noch vereinzelt schwere Tropfen aus den Baumkronen. Trotzdem verlor die Wildnis ihre Schrecken nicht, denn ihre Geschöpfe lauerten bei Tag und bei Nacht, und jeder Laut, jeder raschelnde Zweig, jeder Vogelruf bedeutete Gefahr.
Als kleiner Junge hatte Cinna sich verlaufen, auf dem Weg zu einem Nymphenheiligtum hatte er seine Brüder foppen wollen und war dabei zu weit vom Weg abgekommen. Wie viele Stunden er umhergeirrt war unter den Pinien und durchs Wacholdergestrüpp, wie ihn Furcht und Einsamkeit zerfressen hatten, erfasste er nur noch schemenhaft. Doch fast überdeutlich konnte er spüren, wie ihn einer der Ackersklaven hochgehoben und nach Hause getragen, wie er geschrien und auf den missgestalteten Mann eingeschlagen hatte, besessen von der Angst, ein Satyr verschleppe ihn – ohne damals zu ahnen, dass ihm das Jahre später tatsächlich zustoßen sollte, nicht in der Wildnis, sondern im Schutz eines vornehmen athenischen Hauses.
Um die Mitte des Tages rasteten sie unter einer der Decken, die sie mitgenommen hatten. Hunger quälte sie, da sie nichts als wilde Beeren gefunden hatten, die anstatt zu sättigen Bauchschmerzen verursachten.
Unter tief hängenden Wolken folgten sie der Straße, die sich über die wellige Hochebene zog, wichen wachsam dem Nachtlager einer kleinen Reisegesellschaft aus, nachdem flackerndes Licht und laute Stimmen sie gewarnt hatten. Erst nach langer Zeit wagten sie sich wieder auf den offenen Weg. Die Ebene senkte sich in Täler, der Wald umfing sie von neuem, und in seiner trügerischen Deckung folgten sie zusammenlaufenden Bächen zu einem Fluss.
Nacht senkte sich vom Blätterdach herab, und zwischen den Bäumen schwebten bleiche Schwaden, als sich der Wald unerwartet öffnete und ringsum Nebelmassen träge über abgeweidetes Gras rollten. Sie hatten einen weiteren Talboden ereicht. Um Sunja nicht zu schrecken, zog Cinna nur leicht an den Zügeln; die Aussicht beunruhigte ihn.
Der Hengst streckte den Hals und schnaubte müde, er schien nichts zu wittern. Mit leisem Zungenschnalzen lenkte Cinna das Pferd ins Ungewisse hinaus, die Leinen in der Linken, den anderen Arm nach Sunja ausstreckend, die auf dem Rücken der Stute eingenickt zu sein schien. Der Dunst formte undeutliche Gestalten, die sich wie klamme Schleier um ihn legten und ihn schaudern ließen. Wilde, ungebändigte Natur, das Reich der Diana. Ihre Geschöpfe.
Sein Hengst wieherte gepresst, warf den Kopf hoch. Cinna brachte ihn zum Stillstand und lauschte in das Grau, das alles Licht und jeden Laut verschluckte. Als Sunjas Stute dicht neben ihm hielt, hob er den Arm und bedeutete ihr zu schweigen. Die Pferde nickten heftig und prusteten, doch er war nicht sicher, ob es Unruhe oder Erschöpfung war. Er berührte Sunjas Hand und trieb den Grauen mit leichtem Schenkeldruck vorwärts, glaubte, ein dünnes Schnauben zu hören, Hufe auf lehmigem Boden, und starrte angestrengt ins Ungewisse. Wie eine Reihe junger Tannen schoben sich dunkle Schatten aus dem Nebel, schlossen sich um ihn, lautlos und reglos. Reiter. Wie aufgepflanzt.
Eher verwundert als erschrocken zügelte Cinna den Hengst. Sie waren in einen Hinterhalt geraten, umzingelt von vermummten, schwerbewaffneten Kriegern. Verloren. Dicht neben ihm stand die Stute, Sunjas Bein streifte seines. Mit einer unauffälligen Bewegung wollte er sie zurückwinken und fand seine Hand unter rauer Wolle umklammert.
»Wer seid ihr?«, rief einer der Krieger aus einem roten Kapuzenumhang hervor, der Cinna an tausende von erschlagenen Legionären erinnerte.
Sunja lenkte ihr Pferd ein Stück vorwärts und erhob sich auf dem Rücken des Tieres. »Ich bin Sunja, Tochter des Inguiotar, Fürst der Cherusker.« Sie sprach hastig und schrill.
Cinna krampfte die kältestarren Finger um die Zügel und tastete nach dem Schwert. Einer der Reiter, der einen Wimpel am Zaum seines dunklen Streitrosses
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