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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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suchen, drängte sich mit aller Kraft an ihn, obwohl er sie von sich schob, drängte nach in stummer Entschlossenheit. Er schüttelte sie, stieß sie zurück.
    »Hör auf!«
    Zitternd stand sie vor ihm, die Augen geweitet, die bebenden Lippen halb geöffnet. Als er ihre Arme losließ, erblickte er die Male, die seine Hände hinterlassen hatten, und gestattete sich einen leisen Anflug von Reue.
    »Du musst«, flüsterte sie.
    »Gar nichts muss ich!«
    Rasch drehte er sich um und ging zu den Pferden, löste die Gurte und riss trockenes Gras aus dem Boden, um die Tiere trockenzureiben. Als er nach einer Weile aufschaute, verharrte sie noch immer auf der Stelle und knetete die Finger vor dem Leib. Missmutig fuhr er mit dem Heu über das Fell des Hengstes.
    »Hätte ich dich einem Betrüger überlassen sollen? Oder deine ganze Sippe einem Bündnis, dem sie sich bislang mit aller Kraft verweigert haben? Und mich selbst diesem Verräter ausliefern?«
    »Ich gehöre dir. Du hast das Recht, mich zu nehmen und zu behalten oder zu verstoßen. Du –«
    »Und selbst wenn ich dieses Recht hätte – wir sind auf der Flucht! Wenn Daguvalda uns verfolgt, kann er jederzeit hier eintreffen.« Er ließ das Büschel fallen. »Wir müssen weg von hier. Das ist alles, was jetzt zählt. Denk nach, Sunja! Hraban hat mir die Flucht ermöglicht, aber ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Wir brauchen eine Zuflucht.«
    »Wenn er gewollt hat, was geschehen ist, dann gehöre ich jetzt dir, und wir sind rechtlos der Wildnis –«
    »Das hilft uns nicht weiter!« Gereizt setzte er sich in den Schatten der riesigen Buche. »Sag mir lieber, in welche Richtung wir uns halten müssen.«
    Sie stand immer noch an derselben Stelle und rieb ihre Oberarme, als fröstele sie. »Nach Süden. Viele Chatten fühlen sich noch immer an ihre Eide gebunden. Vielleicht finden wir Wakramers’ Dorf.«
    »Vielleicht? Das ist ein bisschen wenig.«
    »Ich bin niemals alleine so weit fort von zu Hause gewesen.« Ihre Stimme erstickte beinahe an den Tränen. »Ich weiß nicht, wohin wir gehen müssen. Ich weiß es einfach nicht.«
    Die Pferde benötigten eine Rast, sonst wäre er sofort wieder aufgebrochen, selbst wenn der Weg nur ins Ungewisse führen würde. Nach Süden – das bedeutete zumindest eine Richtung, und immerhin hatte Hraban ihm dazu geraten. Er blickte zum Himmel und musterte argwöhnisch den dunstigen Schleier, der sich von Westen heranschob. Solange das Wetter hielt, konnten sie der Sonne folgen. Wichtig war, dass sie sich nicht nach Osten verirrten.
     
    Ein kühler Lufthauch weckte ihn, und er spie den Grashalm aus, auf dem er gekaut hatte. Graue Wolkenballen schoben sich vor die Sonne. Die Götter waren ihm offenbar nicht gewogen.
    Missmutig sprang er auf, ging zu den Pferden und schwang sich auf den Hengst. Noch wusste er, in welcher Richtung das Gebiet der Chatten lag. Sunja folgte ihm, zögernd und ratlos.
    Allmählich verdichteten sich die Wolken, und es wurde kühler. Als Cinna sich im Sattel umdrehte, um Sunja zur Eile zu gemahnen, sah er, dass sie gesenkten Kopfes auf der Stute saß, sah die Spuren auf ihren Wangen und die blassen, zusammengepressten Lippen. Er lenkte den Grauen neben ihr Pferd und legte eine Hand auf ihre kalten Finger; als sie ihn aus verquollenen Augen anblickte, lächelte er aufmunternd und umschloss warm ihre Rechte.
    Sie erreichten eine Straße, einen staubigen Weg, in dem Karrenräder tiefe Fahrspuren hinterlassen hatten. Cinna saß ab, prüfte die Oberfläche und fand das Grasband zwischen den Rinnen unversehrt. Die graubraune Erde zeigte keine frischen Spuren, war nirgends von Hufen aufgewühlt. Als er zu seinem Pferd zurückkehrte, bemerkte er, wie mühsam Sunja sich im Sattel hielt. Der schmutzige Saum ihres weißen Kleides war bis zu den Waden hochgerutscht, doch sie achtete nicht darauf. Sie war sicherlich niemals zuvor so hart und so lange geritten, und er ahnte, dass auch ihn an diesem Abend jeder einzelne Knochen schmerzen würde. Es würde Überwindung kosten, morgen Früh aufs Pferd zu steigen.
    Sie hielten sich entlang der Straße, in gebührendem Abstand. Spuren würden sie verraten. Cinna zog es vor, den Verlauf des Weges im Auge zu behalten, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verirrten. Dunkel erinnerte er sich an die Itinerarien, die er gesehen hatte, Pläne, auf denen die wichtigsten Verbindungswege verzeichnet waren. Keine der Straßen hatte sich in südöstliche Richtung gezogen, sofern er

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