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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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und Zähneklappern zu unterdrücken. Er klopfte den gröbsten Schmutz aus dem Umhang, bevor er ihn wie eine Decke um sie legte.
    Tapfer starrte er in das Dunkel, das die Tiere nicht zu ängstigen schien; sie ließen nur müde die Köpfe hängen. Er schrak zusammen, als Sunja sich an ihn lehnte, ihr Kopf sank schwer auf seine Schulter, und ihre Nähe wärmte ihn ein wenig. Sie war wohl sofort eingeschlafen. Behutsam zog er die Kapuze über ihr Haar und rieb seine Oberarme. Im Laub rauschte der Regen, neben ihm klatschten in regelmäßigen Abständen dicke Tropfen von der Kante des Felsüberhangs in eine Pfütze. Er wagte nicht, die Augen zu schließen, denn immerhin verbrachten sie die Nacht mitten in Dianas Reich, in dem weit und breit keine Straße eine gangbare Schneise durch feindselige Wildnis schlug. Er musste wachen.
     
    Ein Räuspern befreite seine Kehle von dem Kloß, der sich dort festgesetzt hatte. Stille schwebte aus dem Blätterdach herab, und die Tropfen fielen seltener. Er rieb sich die verklebten Augen; seine Knochen straften jede Bewegung mit knirschendem Schmerz, und der Kopf marterte ihn, als er sich erhob.
    Sunja streckte sich leicht, dann drehte sie sich zu ihm um und schenkte ihm ein müdes Lächeln. Wenigstens sie schien erholt. Er unterdrückte den Wunsch, sich wieder hinzulegen und zu schlafen – und erst recht den, das Mädchen, das sich mit den Fäusten die Augen rieb, zu umarmen. Stattdessen stolperte er den kleinen Hang hinunter. Durst und Hunger benebelten seinen Geist, als er den Blick zum Himmel hob und seine Augen den dünnen Schnüren des Nieselregens begegneten, der Stirn und Schläfen erfrischte. Schließlich sattelte er die Pferde, um den Weg ins Ungewisse fortzusetzen. Sunja begleitete ihn wortlos.
    Sie folgten einander abwechselnd wie flüchtige Sklaven, ziellos, denn im Regendunst verlor sich jede Orientierung. Irgendwann trafen sie auf einen breiten, morastigen Weg, eine ehemalige Heeresstraße, die sich schnurgerade durch die neue Provinz zog. Es mochte dieselbe sein, von der sie abgewichen waren. Obwohl sie Cinna wie eine Rettung erschien, mieden sie die unmittelbare Nähe zu ihr. Argwöhnisch horchten sie auf Hufschlag oder das Rumpeln von Wagenrädern, und nur wo die Bäume dicht standen, wo Unterholz ihren Weg versperrte, lenkten sie ihre Pferde auf die schlammige Straße.
    Der Weg zog sich an Gräben und einem dahinter liegenden Wall entlang, auf dessen Grat Cinna eine zerborstene Palisade erkannte. Er stieß einen leisen Schrei aus, um Sunja, die ihm in einiger Entfernung folgte, zur Eile zu bewegen. Als sie zu ihm aufgeschlossen hatte und das Durcheinander der Pfähle entdeckte, huschte ein dünnes Lächeln über ihre Züge.
    »Ein Straßenposten«, murmelte Cinna. »Vielleicht ist etwas stehen geblieben.«
    Er übergab Sunja die Zügel des Grauen und erklomm den glitschigen Hang, rutschte und fiel der Länge nach in den Schmutz. Doch was er sah, ließ ihn das Missgeschick vergessen: Vor ihm erstreckten sich die niedergerissenen und abgebrannten Überreste eines Versorgungslagers, das ein Tal überragt hatte. Inmitten der Ruinen erhob sich einer der Lagerschuppen nahezu unbeschädigt. Keine Rauchfahne, keine Spur im Morast deutete auf die Gegenwart von Menschen hin. Er rief Sunja, deutete ihr mit einer weiten Armbewegung den weiteren Verlauf der Straße an, dem sie folgen solle.
    Die Tür des Schuppens war aus den Zapfen gerissen; mit einem Stecken würde sich das beheben lassen. Drinnen roch es nach feuchtem Korn und kalter Asche. Er stolperte über einen Holzkübel, erblickte eine notdürftig gemauerte Feuerstelle im Halbdunkel, in einem Winkel türmte sich Stroh, auf dem zerwühlte Decken lagen. Jemand hatte hier Wohnung bezogen, aber die Asche war erkaltet und schon weit um den Herd verstreut. Die dicken Bohlen des Bodens waren bis auf kleine Brüche unbeschädigt. Es war trocken.
    Vor dem Gebäude wartete Sunja bereits mit den Pferden. Beim Anblick ihres müden Gesichtes dachte er an das Stroh und die Decken und gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, unbesorgt hineinzugehen. Er selbst machte sich auf die Suche nach einem neuen Zapfen und einem geeigneten Riegel für die Tür.
    Das Gerippe lag hinter dem Schuppen. Wilde Tiere hatten schon vor langer Zeit ihr Mahl gehalten. Angeekelt musterte Cinna den verwesten Überrest eines Leichnams, ehe er sich daranmachte, ihn mit schlammiger Erde zu bedecken. Der verrottete, einstmals rote Rock hatte einem Legionär

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