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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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sich recht entsann, und auch diese – eine von denen, die von Norden nach Süden durch die aufständischen Gebiete liefen – würde sie zwar nicht geradewegs in römisch besetztes Gebiet, aber zumindest in dessen Nähe führen.
    Kreischend rauschte ein Häher durch die Baumkronen. Cinna zügelte den Hengst, der einen gurgelnden Laut ausstieß, und gab Sunja ein Zeichen zurückzubleiben. Unter den Vogelsang kroch ein Dröhnen und Hämmern, schwoll an zu Hufschlag. Der Graue schnaubte und warf den Kopf hoch, die schwarze Stute ließ ein ersticktes Wiehern ertönen, und Sunja hatte Mühe, sie still zu halten.
    »Weg von der Straße – schnell!«, stieß Cinna hervor und drängte den Grauen tiefer in den Wald, in Richtung des Unterholzes. Der Gedanke an Hunde verschlug ihm den Atem; er sah, wie Sunja sich mit ihrem Pferd einen Weg ins Dickicht bahnte, sah die Staubwolke, die dunklen Schemen der Reiter, die Pferde, die in einem dichten Knäuel den Weg herunterrannten. Der Graue erstarrte zu einer Statue hinter den dürren Sträuchern, als wüsste er, was auf dem Spiel stand. Er rollte die Augen, seine Ohren zuckten, doch er rührte sich nicht und barg seinen Reiter vor den Verfolgern mit dem eigenen massigen Leib. Über den Rücken des Pferdes hinweg erkannte Cinna Männer, die er noch an diesem Tage auf Inguiotars Hof gesehen hatte, an der Spitze der Gruppe Daguvalda, dessen Miene unter dem Helm verborgen war. Mit klirrenden Rüstungen polterten sie um die Wegbiegung, stoben vorbei, eine dichte Staubwolke hinter sich herziehend. Kein einziger Krieger warf einen Blick zwischen die Bäume, über das Gestrüpp.
    Während der Hufschlag verhallte, rieselte der aufgewirbelte Staub auf den Weg. Sie hatten also ihre Pferde wieder eingefangen und die Verfolgung aufgenommen. Die Jäger würden ihrem Wild von nun an voraus sein.
    »Wir müssen der Straße fern bleiben«, murmelte Cinna, als er Sunja erreichte, die mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf der Rappstute saß. In ihren Augen konnte er die ängstliche Frage lesen, die er nicht beantworten mochte. Sich von der Straße zu entfernen, würde sie zumindest eine Weile von ihrer Zielrichtung abbringen, und solange der Himmel wolkenverhangen war, hatten sie nichts, wonach sie sich richten konnten.
     
    Als sich der Wald auftat, breitete sich eine sanft gewellte Ebene vor ihnen aus, die im grauen Dunst verschwamm. Dereinst wohlbestellte Felder, jetzt verbrannte Erde, lagen vor ihnen, überkrustet von Felsgruppen und den verkohlten Gerippen von Bäumen und Büschen. Cinna brachte den Grauen neben Sunjas Pferd zum Stehen. Die Tiere streckten die Hälse und bliesen auf der Suche nach Futter verrottendes Laub auf.
    Es gab keinen anderen Weg als durch diese verwüstete Landschaft. Cinna mutmaßte, dass nacheinander Eroberer und Rebellen die Äcker zerstört hatten, dass seit Jahren Hunger geherrscht und die Menschen schließlich ihr Heil woanders gesucht hatten. Jetzt war niemand mehr hier, um für einen Herren die nächste Ernte einzufahren, und Korn und Stauden faulten auf den Feldern.
    Ein feiner, alles durchdringender Sprühregen hüllte sie ein. Sie stießen auf ein paar verlassene Hütten, Reste eines Dorfes, dessen dürftige Ringmauer eingestürzt und niedergerissen war, sahen die verwesenden Kadaver von Kühen und Schweinen, an denen sich bereits die Aasfresser gütlich getan hatten. Menschen trafen sie keine an.
    Dämmerung kroch in den Nebel, zunehmender Regen löste ihn in einzelne Schwaden. Sie waren abgestiegen, bahnten sich einen Weg zwischen verbranntem Gestrüpp und schwarzer Erde und führten die erschöpften Tiere durch einen Hohlweg – hätte sie jemand über die Felder reiten sehen, wären sie sicherlich gestellt worden.
    Viel zu spät fanden sie auf einer baumlosen Anhöhe eine Möglichkeit, Ausschau zu halten. Ringsum schlängelten sich schmale Wege, die sie meiden mussten, und verloren sich im erlöschenden Tageslicht. Cinna musste sich verärgert eingestehen, dass er sich nicht zurechtfand in diesem Gewirr schlammiger Pfade. Sunja war schon lange verloren, folgte ihm wohl mehr aus Angst vor dem einsamen Tod in der Wildnis als aus Vertrauen, während er entschlossen vorausritt in die heranschleichende Nacht, die Inguiotars Leute stets auszusperren versuchten, eine Finsternis, in der fremdartige Wesen lauerten, Geschöpfe der ungezähmten Natur.
    Auch der letzte schwache Schimmer versiegte, und durch die Dunkelheit drang das ferne Belfern junger Wölfe, das

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