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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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nicht Vater. Vater hätte es nie zugelassen, aber sie haben … sie haben ihn getäuscht. Ihm nur gesagt, Ermanamers wolle dich sehen, dir ein paar Fragen stellen. Was dann geschah …«
    Stumm starrte er sie an.
    »Hraban kam ins Haus gerannt und konnte kaum erklären, was … was Ermanamers befohlen hatte, da ist Sunja auch schon losgelaufen. Ehe Mutter etwas tun konnte. Sie ist einfach losgelaufen.«
    »Sunja?«, flüsterte er heiser.
    »Sie grüßt diesen Mann nicht einmal mehr«, fuhr die Kleine fort. »Sie geht an ihm vorbei, als wäre er Luft. So kenne ich sie gar nicht.«
    »Meinetwegen?«, stammelte er.
    »Wo denkst du hin?« Saldir grinste breit. »Nein, wir sind sehr, sehr zornig, weil Ermanamers sich erdreistet hat, einen, der unter unserem Schutz steht, ungefragt zu foltern.«
    »Schutz?«
    »Du bist eine Geisel, und als solche gehörst du uns. Und was einem gehört, das schützt man. Ist das bei euch anders?«
    Wortlos verneinte er und griff nach dem Brot; als er den zähen Speck ein wenig anhob, bemerkte er das kleine scharfe Messer, das darunter lag. Er verstand die Botschaft. Es bot ihm einen letzten Ausweg und die Illusion von Schutz, Verteidigung oder schnellen Tod. Zerstreut schnitt er eine dünne Scheibe herunter, stopfte sich Brot und Speck in den Mund und kaute.
    »Ich muss wieder nach Hause. Die anderen Herren dürfen nicht wissen, wo ich gerade bin.«
    Flink huschte sie zum Eingang, wo sie ein bereitliegendes Strohbündel in eine Decke wickelte.
    »Saldir, warte!« Cinna war aufgesprungen, ihr nach, doch sie machte eine abwehrende Geste und legte einen Finger auf die Lippen.
    »Ich weiß nicht, ob es dreist ist«, begann er leise, »aber sag deinen Leuten … sag ihnen, dass ich ihnen danke.«
    Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, sie nickte und schlüpfte hinaus.
    *
    Hraban brachte Cinna am vierten Tag nach jenem Verhör zurück in sein Vaterhaus. Er führte ihn nicht wie ein Tier, sondern ging neben ihm den Weg hinauf. Als sie das Tor durchschritten, sah Cinna Saldir, die vor dem Haus wartete und unruhig an ihrem Daumen nagte. Warm legte sich Hrabans Hand auf seine Schulter. Bevor sie Ahtareths’ Haus verlassen hatten, hatte Cinna ihm die schwere Lammfelldecke zurückgeben wollen, doch Hraban hatte ihm das kostbare Stück wortlos wieder in die Arme gedrückt.
    Als Cinna zögerte, Inguiotars Haus zu betreten, zog Saldir ihn rasch hinein. Sunja war nicht da. Unauffällig sah er sich im Haus um, konnte sie aber nirgends erblicken, was ihn insgeheim aufatmen ließ. Er wollte ihr nicht begegnen. Jetzt nicht. Was sie an jenem Tag, als sie Arminius in den Arm gefallen war, gesehen und gehört hatte, hätte sie niemals sehen und hören dürfen.
    Am Herd begrüßte Thauris ihn mit einem warmen Getränk; er hatte den bitteren Kräutersud erwartet, den sie immer mit viel zu viel Honig genießbar zu machen versuchte, doch statt dessen drang ihm der Duft von erhitztem und gesüßtem Wein in die Nase. Mit geschlossenen Augen hielt er sich den Becher vors Gesicht und genoss die Wärme und den Duft, bevor er vorsichtig daran nippte.
    Wenig später saß er neben Saldir auf einer der Truhen, den neu gefüllten Becher in der Hand, und das Mädchen spann gehorsam Wolle, denn das war Thauris’ Bedingung, damit sie lernen durfte. Er zitierte einige Gedichte des Horatius Flaccus aus dem Gedächtnis, ließ dem Pan Zicklein opfern und den Dichter unter dem Gelöbnis, ein reines Leben geführt zu haben, an den Altar des Apollon treten. Das Mädchen versuchte, die Verse nachzusprechen, verhaspelte sich, stotterte, starrte hilflos ins Leere, während die Spindel unbemerkt zu Boden sank, und dann kicherte sie über ihre eigene Ungeschicklichkeit.
    Ein heller Ruf drang von draußen an sein Ohr, Sunjas Lachen, und als sich die Tür öffnete, versagten Cinna zugleich Gedächtnis und Stimme.
    Sie rauschte herein, fröhlich strahlend, öffnete den Mund, als ihre suchend umherschweifenden Blicke auf Cinna fielen. Sofort schlug sie die Augen nieder, schien in den Flur zurückweichen zu wollen, kramte in den Falten ihres Kleides und fand etwas, das sie Saldir zuwarf, eine gesplitterte Wachstafel. Saldir jauchzte auf und drückte den Schatz an ihre Brust, da war Sunja bereits wieder verschwunden, und die Tür fiel knarrend hinter ihr zu.
     
    Obwohl Liuba protestiert hatte, war Cinna für die nächste Zeit davon befreit worden, dem alten Fischer bei der Arbeit zu helfen. Während des Aufenthaltes in Ahtareths’ zugigem Haus

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