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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Pflicht, die Wahrung der Sitte einzufordern.« Sie machte eine Atempause, ehe ihre Empörung erneut laut wurde: »Dass einem Mann, frei oder unfrei, der unter unserem Dach lebt, von einem anderen auf unserem Boden Unrecht und Schmerz zugefügt wird, darf und wird der Herr des Hauses nicht dulden.«
    Die anschwellende Stille ließ seine Sinne schweben. Ihre Knöchel waren weiß und zart, wo der Knochen ein wenig vorstand, von einem rosigen Schimmer überzogen, und die Haut bedeckte feiner, heller Flaum.
    Ein verächtliches Knurren schreckte ihn auf. Eine raue Decke wurde über ihn geworfen. Fast stampfend entfernte sich der schwere Schritt des Arminius und mit ihm die der anderen Stammesfürsten. Immer noch verharrte Sunja regungslos, als sich jemand zu ihr gesellte.
    »Das wird er nicht auf sich sitzen lassen«, murmelte Hraban.
    Sie schwieg.
    »Was machen wir jetzt? In unserem Haus ist er nicht sicher.«
    »Was meint Vater?«
    »Eine Auslieferung kommt nicht in Frage.«
    »Aber das hier hat er zugelassen?« Sie schnaubte vernehmlich. »Bring ihn zu Ahtareths! Das Haus eines Priesters ist ein heiliger Ort.«
     
    Eine Hand zerriss den Nebel. Der traumlose Schlummer, in den sich sein Verstand gerettet hatte, zersprang unter der Berührung. Er lag auf dem Bauch, auf dem von Glut durchrieselten Rücken eine leichte, weiche Decke. Neben ihm kauerte ein Schemen, umhüllt von einem hellen Mantel. Cinna spürte angenehm kühle Finger, die seine Hand umfasst hielten. Es war ein sanfter Griff, und wenn dies der Tod war, dann war der Tod kühl und sanft.
    »Verzeih meine Feigheit!«, stieß der Schemen hervor.
    Cinna erkannte Hrabans Stimme und wäre beinahe wieder in das stumme Dämmern zurückgesunken. »Ich habe Durst«, keuchte er mühsam.
    Der Schemen wandte sich zur Seite. Cinna hörte Wasser in eine irdene Schale plätschern.
    »Ich hasse diesen Kerl!«, zischte Hraban. »Er rühmt sich damit, tausende erschlagen zu haben. Kein Wunder – er hat nicht einmal vor wehrlosen Kindern, Frauen und Greisen im Tross und in den Lagerdörfern Halt gemacht. Dauernd vergleicht er das mit seinen Heldentaten im Illyricum.«
    Eine Hand legte sich unter seine Wange. Er spürte den nassen Rand der Schale, das Wasser, das an die gesprungenen Lippen schwappte, in den Mund rann, und er versuchte zu schlucken, als könne er so die Hitze lindern, die ihn durchglühte. Am Rücken spannte sich die Haut, wollte die kaum verschorften Wunden sprengen. Kalt lief es über sein Kinn und seinen Hals und tränkte die Decke, auf der er lag. Viel zu früh war der Quell versiegt; doch er fühlte sich wacher und klarer.
    »Im Illyricum gab es damals ein fürchterliches Durcheinander«, murmelte er und tätschelte begütigend die Finger, welche die Schale hielten.
    »Er ist ein Ungeheuer!«, knurrte Hraban. »Niemand darf eine Geisel foltern! Geiseln genießen Gastrecht. Meine Schwester musste kommen, dieses Recht für dich einzufordern, weil mein Vater und ich zu feige waren.«
    »Ist er fort?«
    »Arminius?« Hraban zögerte. »Leider nicht. Er wird erst morgen Früh mit seinen Männern aufbrechen.«
    »Danke, dass ihr mir das hier erspart habt.« Obwohl die geringste Bewegung in den Wunden lodernde Flammen weckte, streckte Cinna Hraban die zerschundenen Hände entgegen.
    »Bleib still liegen«, stieß dieser hervor. »Du musst dich schonen. Sie werden bald abreisen – in den nächsten Tagen, vielleicht übermorgen. Dann wirst du in unser Haus zurückkehren, und Mutter wird dich gesund pflegen.« Er schluckte schwer. »Es wird niemals wieder geschehen! Vater wird eine solche Verletzung des Gastrechtes, eine solche Schmähung niemals wieder zulassen.«
    Cinnas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Was habe ich … gesagt?«
    »Verse«, erwiderte Hraban. »Verse – du hast gestöhnt und geschrien unter der Gewalt, aber alles, was wir verstehen konnten, waren Verse. Griechische Verse. Homer.«
    »Woher weißt du –«
    »Genug jetzt! Du musst schlafen.«
    Cinnas Gedanken schwirrten umher wie ein Mückenschwarm; vergeblich versuchte er, wenigstens einen davon festzuhalten, und nahm kaum wahr, dass Hraban sich entfernt hatte. Er lag in einem anderen Haus. Sie versteckten ihn, vielleicht bewachten sie ihn sogar, damit Arminius ihn nicht heimlich verschleppen konnte. Er erinnerte sich an einen Namen. Ahtareths. Ein Priester. Er hörte Holz im Feuer knistern, das Schleifen von schwerer Wolle. Flüsternde Stimmen. Eine davon gehörte Hraban. Er war

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