Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
Gesichter tauchten auf und verschwammen wieder. Leises Flüstern. Sie waren da, um ihn zu holen, um ihn zurückzubringen. Er lächelte. Nach Hause. Er versuchte sich aufzurichten, den Befreiern die Arme entgegenzustrecken, doch sie hielten ihn fest. Aufgeregt schwatzende Stimmen bedrängten ihn. Die sich überschlagenden Laute gehörten nicht seiner Sprache an und auch nicht der der Griechen. Nochmals bäumte er sich auf gegen den Druck ihrer Hände, aber nicht einmal unter Aufbietung der letzten Kräfte gelang es ihm, ihnen etwas entgegenzusetzen.
    Geblendet starrte er in das Licht, aus dem das Gesicht eines Weibes auftauchte, ihre Hand ließ seine Stirn gefrieren. Er erinnerte sich an Erzählungen betagter Legionäre, Erzählungen über Barbarenweiber, die Menschen schlachteten und deren Blut in riesige Kessel strömen ließen, um daraus zu weissagen.
    Scharf loderte neuer Schmerz auf, als er umfasst, dann hochgehoben wurde. Licht stahl sich unter die Wimpern, und ihn schwindelte vom wiegenden Schritt dessen, der ihn trug.
    Sie hatten ihn niedergelegt, ihm ein bitteres, zähes Gebräu eingeflößt. Ihr Murmeln übertönte das Rauschen der Wipfel, ihre Hände drückten seine Arme auf den Boden, auf raues Tuch. Dann senkte sich Stille über ihn.
    Die Stille, wenn die Axt des Schlächters über dem Opfer schwebt. Kein Leid mehr. Keine Ungewissheit. Sie würden ihn töten. Eine maßlose Erleichterung entkrampfte seine Glieder. Er würde erfahren, wie der Atem floh und mit ihm die Seele, das Leben. Er würde es erfahren.
    Ein jäher Schmerz stach in den Oberschenkel, um dort zu bersten, und tauchte ihn in Dunkelheit.
     
    Wie ein Fremdkörper lag sein linkes Bein zwischen den Decken, als hätte ein wildes Tier seine Fänge tief in das Fleisch geschlagen und riss daran. Feuchtes Tuch tupfte ihm die Hitze von den Schläfen. Er keuchte erstickt und nahm durch die geschlossenen Lider Dämmerung wahr, warmes, zuckendes Licht. Knisternd platzte Holz in der Glut.
    »Es tut mir Leid«, flüsterte eine Stimme über ihm. »Es steckte etwas in der Wunde. Wir mussten es entfernen.«
    Er blinzelte in das blasse, vollkommene Oval eines Mädchengesichtes, hellgrüne Augen, an die sich seine gequälten Sinne klammerten, gelbliche Strahlen gingen von der Pupille aus, begrenzt von einem dunkelgrauen Ring. Ein weizengelber Zopf fiel über ihre Schulter und berührte seinen Arm. Dasselbe Gesicht. Derselbe stützende Arm, den sie unter seinen Nacken geschoben hatte. Dieselbe Hand, die ihm einen irdenen Becher an die Lippen gehalten hatte. Wie jetzt. Obwohl die Kiefer ihm nicht gehorchen wollten, verzog er die Lippen zu einem zähneklappernden Grinsen, ehe er den Inhalt hastig hinunterschluckte. Bittere Kräuter und Honig.
    »Atme ruhig«, sagte sie. »Langsam und ruhig. Der Schmerz hat keine Macht über dich, wenn du ruhig atmest.«
    Er konnte sie verstehen. Sie beherrschte seine Sprache.
    Er wollte diese Erkenntnis festhalten, doch sie entglitt ihm. Jeder Gedanke entglitt ihm wie Bänder, die im Wind davonflattern.
    Sie summte ein Lied und nahm eine seiner Hände, um sie zu streicheln. Er atmete so ruhig er konnte und ergab sich dem sanften Klang ihrer Stimme, bis sich der Biss des wilden Tieres lockerte, die Krämpfe abebbten und sich schattiger Schlaf über ihn senkte.
     
    Wasser plätscherte dicht neben ihm. Mühsam hob er die bleischwere Hand von der Brust, um die klebrigen Krusten von den Lidern zu wischen. Warme Finger umschlossen seinen Arm und schoben ihn zurück. Sein Gesicht wurde behutsam gewaschen, während er dem Gezanke wilder Sperlinge lauschte, dem Kichern und Schreien von Kindern, das mal hier, mal dort um das Haus zu hören war.
    Wie von Ferne erreichte ihn die warme Berührung der Hände. Am Gaumen nagten Durst und ein übler Geschmack, und die Zunge füllte als spröder Klumpen den Mund.
    Vor dem Morgengrauen waren sie aufgebrochen. So viel wusste er noch. Er selbst und seine Begleiter, zehn Mann aus der Leibwache des Legaten. Sie waren einen Tag lang durch die Gaue der Mattiacer und Chatten geritten, hatten in einem Versorgungsstützpunkt übernachtet. Ein Späher, Angehöriger einer einheimischen Hilfstruppe, ein Cherusker, hatte sie bei einem der nächsten Straßenposten erwartet und sie in das dunkelgrüne Zwielicht der Wälder geführt.
    Schmerz durchbohrte ihn, als er sich zu regen versuchte, die Zähne des wilden Tieres steckten noch immer in der Wunde. Er musste das verletzte Bein unter allen Umständen still

Weitere Kostenlose Bücher