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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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und enger wurde.
    Träge beschlich ihn die Erinnerung. Eine Gesandtschaft … versiegelte Schrifttafeln … in der Satteltasche … Wald … dichter Wald … sein Pferd … Er berührte die Stirn, den Verband, der darum gewickelt war, und öffnete erneut die verklebten Augen.
    Über ihm durchschnitten Balken in regelmäßigen Abständen den fahlen Schein. Der Verstand begann mit entsetzlicher Genauigkeit zu arbeiten. Schwach entsann er sich, dass ihm ein Auftrag erteilt worden war. Reiter hatten ihn begleitet, kampferprobte Männer, Angehörige der Leibwache des Befehlshabers. Er glaubte, den Griff des Schwertes in seiner Hand zu fühlen. Seine Hand war feucht gewesen. Schweißfeucht. Nebel trübten die Erinnerung, die Bilder fügten sich nicht zusammen. Da waren Lücken, sodass er fürchtete, der Arm eines Gottes habe ihn in eine andere Welt, in ein anderes Leben geschleudert. Sein Name – Gaius Cinna, Gaius Cornelius Cinna. Sohn des Gnaeus. Dessen war er sich sicher. Senatorischer Tribun der Ersten Legion. Stellvertreter des Legaten Lucius Asprenas. Stationiert in Mogontiacum.
    Das Stroh und die Decken, auf die er gebettet war, und der Gestank erstickten die vage Hoffnung, er befände sich im Valetudinarium eines abgelegenen Straßenpostens. Schriller Jubel hallte in ihm wider, Feuerschein loderte auf, der erlosch, als er die Augen aufschlug. Die Finsternis schloss sich mit jedem Schnarchlaut enger um ihn. Hände hatten ihn gepackt, an ihm gezerrt. Ihn vom Pferd gerissen. Die Zunge klebte am Gaumen; er schluckte trocken. Wenn nicht einer der Unsterblichen ihn seine Macht spüren lassen wollte, war er von barbarischem Mordgesindel in diesen elenden Unterschlupf verschleppt worden.
    Er ballte die Fäuste, als könne er damit sein rasendes Herz beruhigen. Noch lebte er, aber dieses Leben schien das Einzige zu sein, was ihm geblieben war. Und wer wusste, wie lange man es ihm lassen würden? In Berichten hatte er gelesen, dass die Barbaren ihre Opfer kopfunter an Bäume hängten, um sie auszubluten, oder – wie der sagenhafte Fichtenbeuger – von gespannten Ästen zerreißen ließen. Dass sie Gefangene von Rang auf den Altären blutrünstiger Götter enthaupteten und die triefenden Schädel in Astgabeln und Felsnischen rammten.
    Er riss die Augen auf, damit die Schwärze die Bilder verschlinge. Sie würden Lösegeld fordern. Es hatte schon mehrere derartige Vorfälle gegeben. Sein Fehlen konnte nicht unbemerkt geblieben sein; Segestes erwartete ihn seit Tagen und hatte längst Meldung gemacht. Lucius Asprenas hatte sicher bereits einen Suchtrupp geschickt. Sie würden diesen Schlupfwinkel aufspüren und ihn befreien. Ein trockener, pelziger Kloß verengte ihm die Kehle. Mit der Linken tastete er nach seinem Hals.
    Er war nicht gefesselt.
    Wenn es ihm gelänge sich aufzurichten, eine Tür zu erreichen, sie zu öffnen oder notfalls aufzubrechen, könnte er entkommen. Doch schon der Ansatz einer Bewegung des linken Oberschenkels ließ ihn mit einem erstickten Aufschrei zurückfallen. Schweiß perlte über die Schläfen. Schwer atmend lauschte er in sich hinein, in den pochenden Schmerz, sammelte seine Kräfte. Als er sich mit zusammengebissenen Zähnen auf die Ellbogen stemmte, wurde die gezerrte Faser in seiner Schulter bis zum Zerreißen gespannt. Er tastete über sich hinweg, Halt suchend, während der Arm unter seinem Gewicht zitterte und er vergeblich die Lider zusammenkniff, um den Tränenstrom aufzuhalten. Ächzend brach er zusammen.
    Bleischwer lastete sein Körper auf der verletzten Schulter; jeder Versuch, sich zu bewegen, scheiterte am tobenden Protest der Wunde. Wange und Schläfe berührten den klammen Boden, die Decke war herabgeglitten, und er lag in einer warmen Pfütze, die sein Hemd tränkte und rasch erkaltete. Die Finger durchwühlten das Stroh, umkrampften spröde Halme, während er zitternd erkannte, dass er nicht aus Unachtsamkeit ungefesselt war, sondern aus Achtlosigkeit.
    Der melodische Ruf einer Amsel drang in seine wirren Gedanken, die sich in glitzernde Nebel verloren wie flatternde Bänder. Der kalte, schwitzende Körper krümmte sich und schien zu zerbröckeln wie mürber Ton. Wieder schlich sich Feuerschein unter seine Lider, warf zuckende Schatten; wüstes Gebrüll dröhnte in seinen Ohren, die hellen Augen eines Mädchens blitzten auf, Wimpern wie Falkenflügel. Schweiß und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Da war eine Stimme. Das Schnarchen war verstummt.
    Jemand drehte ihn herum.

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