Der Tristan-Betrug
Schüsslers Nähe zu verkrampfen, aber heute war es besonders schlimm. Lana fürchtete den Augenblick, in dem er aus dem Hausmantel schlüpfte, was er vermutlich bald tun würde, und der Geschlechtsakt begann. Wirklich ein »Akt« wie im Theater, überlegte sie sich. Aber weil sie heute Abend einen Auftrag auszuführen hatte, war ihre Beklemmung stärker als gewöhnlich.
»Sicher gehst du in Gedanken deine Choreografie durch«, sagte von Schüssler, indem er ihr den Kopf wie einem Hund tätschelte. »Aber du musst deine Arbeit am Arbeitsplatz lassen, Püppchen. Unser Bett ist ein heiliger Ort. Wir dürfen ihn nicht durch Alltagssorgen entweihen.«
Lana hätte ihn am liebsten gefragt, warum er sich nicht selbst an diese Regel halte, aber sie beherrschte sich. »Es geht um meinen Vater«, sagte sie. »Ich mache mir solche Sorgen um ihn.«
»Schatzi«, erwiderte von Schüssler zärtlich. »Bitte, mein Engel. Kein Wort des Dossiers gelangt jemals zur Kenntnis der hiesigen Behörden! Habe ich dir das nicht geschworen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht. Ich mache mir Sorgen wegen der neuen Aufgabe, die er bekommen hat.«
»Ah«, sagte Rudolf von Schüssler und ließ sich, nicht länger interessiert, in den Kissenberg zurücksinken. »Na dann.« Er schien darauf zu warten, dass Lana das Thema wechselte, damit er weiter über die Krämerseelen in der Botschaft lamentieren oder - noch schlimmer - den Gürtel seines Schlafrocks lösen konnte.
»Man hat ihn auf eine neue Position versetzt«, erzählte sie unbeirrbar weiter. »Vater hat jetzt eine weit wichtigere Stellung im Volkskommissariat für Verteidigung.«
Von Schüssler nahm einen weiteren kleinen Schluck Cognac und griff nach dem nächsten Stück Marzipan.
»Möchtest du auch ein Marzipan, meine Liebe?«
Lana schüttelte den Kopf. »Vater ist jetzt für die Kontrolle aller Ausgaben der Roten Armee zuständig. Er muss die Verwendung aller Haushaltsmittel innerhalb des Kommissariats prüfen, was bedeutet, dass er sämtliche Standorte, sämtliche Rüstungsausgaben, einfach alles kontrollieren muss!«
Von Schüssler ließ lediglich ein gelangweiltes Grunzen hören. »Das ist eine unmöglich zu bewältigende Aufgabe! Im Prinzip muss er die gesamte Strategie der Roten Armee durcharbeiten!«
Endlich schien in von Schüsslers wässrigen blauen Augen ein Funken Interesse aufzuglimmen. Und war da nicht auch ein Anflug von schweineartiger Gier? »Tatsächlich? Das ist eine ziemlich wichtige Stellung, nicht wahr? Über diese Beförderung ist er bestimmt sehr glücklich.«
Lana seufzte abgrundtief. »All diese Unterlagen, die er mit nach Hause bringt, all diese Papiere, die er bis spät in die Nacht hinein lesen muss! Die endlosen Zahlenkolonnen - wie viele Panzer und Flugzeuge, wie viele Schiffe, wie viele Geschütze, wie viele Männer . Mein armer Vater, er arbeitet sich noch zu Tode!«
»Hast du diese Papiere etwa gesehen!«
» Gesehen? Sie liegen überall in der Wohnung herum - ich stolpere über sie! Mein lieber Vater ist ein Soldat, kein Buchhalter; warum haben sie diese Aufgabe ausgerechnet ihm übertragen?«
»Und hast du auch schon solche Dokumente gelesen?«
Rudolf von Schüssler bemühte sich, nonchalant zu wirken, aber das gelang ihm nicht sonderlich gut. »Verstehst du ... äh ..., was sie enthalten, meine ich.«
»Rudi, die Zahlen sind so winzig, dass mir die Augen davon wehtun! Mein armer Vater - er muss seine Lesebrille aufsetzen, aber trotzdem hat er von diesem Zeug ständig Kopfschmerzen.«
»So viel Papier, das überall herumliegt«, meinte Schüssler nachdenklich. »Er weiß wahrscheinlich gar nicht mehr, wo alles liegt, stimmt's? Ist dein Vater ein ordentlicher Mann?«
»Ordentlich? Vater?« Sie lachte. »Als Truppenkommandeur war er vorbildlich ordentlich. Aber wenn's um Papierkram geht, ist er ein Chaot! Er beschwert sich andauernd darüber, dass er diese oder jene Unterlagen nicht mehr findet, ob ich sie gesehen habe, ob ich weiß, wohin er sie gelegt hat .«
»Er würde es also nicht merken, wenn Papiere vorübergehend nicht da wären.« Lana konnte fast sehen, wie die Räder im Kopf des Deutschen sich langsam drehten. »Sehr interessant, mein Engel. Sehr interessant.« Die Idee - sie war seine Idee geworden, was entscheidend war - hatte endlich im unfruchtbaren Boden von Rudolf von Schüsslers Verstand Wurzeln geschlagen. Einige Sekunden später schien sein Entschluss festzustehen. Er würde sie jetzt nicht bedrängen,
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