Der Tristan-Betrug
obwohl er wusste, dass sowjetische Funktionäre oft seltsame Bürozeiten einhielten. Irgendwas war im Busch, etwas Wichtiges. Jedenfalls konnte er sich dieser Aufforderung nicht entziehen.
Litwikows Fahrer wartete in der Hotelhalle. Metcalfe ging zu ihm hinüber. »Serjoscha«, sagte er. »Bringen wir's hinter uns.«
*
Litwikows Schreibtisch stand voller Telefone in verschiedenen Farben. In der sowjetischen Bürokratie galt die Regel, dass man umso wichtiger war, je mehr Telefone man auf dem Schreibtisch hatte. Metcalfe fragte sich, ob eines dieser Telefone eine Direktverbindung zum Generalsekretär persönlich herstellte, ob Litwikow so viel Macht besaß. An der Wand hinter dem Volkskommissar hingen zwei große Porträts von Lenin und Stalin.
Der Kommissar, ein Mann mit buschigen Augenbrauen, stand hinter seinem Schreibtisch auf, als Metcalfe in sein Büro geführt wurde. Litwikow war ein großer, gebeugt gehender Mann mit rabenschwarzem Haar und ungesund blassem Teint. Im vergangenen Jahrzehnt hatte Metcalfe verfolgt, wie Litwikow in seiner Behörde aufgestiegen war und sich dabei von einem servil überschwänglichen in einen gequälten, sorgenvollen Mann verwandelt hatte. Aber diesmal ließ Litwikow etwas anderes erkennen: Zorn, Empörung, mit Angst vermengten Gladiatorenmut, den Metcalfe Besorgnis erregend fand.
Litwikow führte den Besucher zu seinem langen Konferenztisch hinüber, auf dessen grüner Filzbespannung eine Batterie von Mineralwasserflaschen stand, die der Kommissar nie anzubieten schien. Er nahm so am Kopfende des Tischs Platz, dass sein Büroleiter links und Metcalfe rechts von ihm saßen.
»Wir haben ein Problem, Mr Metcalfe.« Litwikow sprach Englisch mit Oxfordakzent.
»Die Kupfermine«, sagte Metcalfe sofort. »Da bin ich völlig Ihrer Meinung. Mein Bruder und ich haben lange darüber diskutiert und sind .«
»Nein, Mr Metcalfe. Es geht nicht um die Kupfermine, sondern um etwas viel Ernsteres. Mir liegen Berichte vor, dass Sie sich unberechenbar verhalten.«
Metcalfes Puls beschleunigte sich. Er nickte. »Alexander Dmitrowitsch«, sagte er jovial, »wenn Ihre Geheimpolizisten sich so für mein Liebesleben interessieren, frage ich mich, ob sie vielleicht unterbeschäftigt sind.«
»Nein, Sir.« Er deutete auf einen Stapel gelber Blätter auf dem rechts neben ihm stehenden Tisch. Das oberste Blatt trug den roten Stempel GEHEIM. Das mussten Überwachungsberichte sein. »Diese Berichte legen andere Schlussfolgerungen nahe, Mr Metcalfe. Schlussfolgerungen, die ernste Fragen zu den wahren Gründen für Ihren Moskauaufenthalt aufwerfen. Wir beobachten Sie äußerst scharf.«
»Das sieht man. Aber Ihr NKWD verschwendet kostbare Ressourcen. Ein unschuldiger Mann hat nichts zu verbergen.«
»Trotzdem benehmen Sie sich, als hätten Sie viel zu verheimlichen.«
»Es gibt einen Unterschied, Alexander Dmitrowitsch, zwischen Verheimlichung und Diskretion.«
»Diskretion?«, wiederholte der Kommissar mit hochgezogenen Augenbrauen, unter denen sein müder Blick voller Angst war.
Metcalfe zeigte auf den Stapel Überwachungsberichte.
»Ich gehe jede Wette ein, dass diese in mühsamer Arbeit erstellten Berichte nur das Porträt eines Mannes ergeben, den man als Playboy bezeichnen könnte. Als Frauenheld. Als Schürzenjäger. Ich weiß, in welchem Ruf ich stehe, Sir. Er verfolgt mich überallhin; ich muss überall gegen ihn ankämpfen.«
Davon wollte der Russe jedoch nichts wissen. »Dies hat nichts mit ... mit dem zu tun, was man wohl Ihre Herumbumserei nennen könnte, Mr Metcalfe. Glauben Sie mir ...«
»Nennen Sie's, wie Sie wollen, aber wenn eine Russin in Moskau sich mit einem Ausländer einlässt, der wie ich aus einem kapitalistischen Land kommt, liegt das gesamte Risiko bei ihr. Das wissen Sie, und ich weiß es auch. Ich rede nie über amouröse Abenteuer, Sir, und tue alles, um den Ruf der jeweiligen Frau zu schützen. Aber hierzulande riskiert jede Frau, die sich mit mir einlässt, weit mehr als nur einen schlechten Ruf. Erscheinen dem NKWD die Vorsichtsmaßnahmen, die ich ergreife, also verdächtig, kümmert mich das nicht. Ich bin sogar stolz auf sie. Sollen sie mir doch überallhin nachschleichen!« Er erinnerte sich an etwas, das Lanas Aufpasser Kundrow gesagt hatte. »Wie ich höre, gibt's im Sowjetparadies keine Geheimnisse.«
»Arbeiten Sie mit den Deutschen zusammen?«, fragte Litwikow plötzlich.
Das war es also! Kundrow hatte beobachtet, wie er in der Datscha mit Rudolf von
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