Der Tristan-Betrug
schmieden.
Winston Churchill hasst die Sowjetregierung - und macht keinen Hehl daraus. Und wen hat er als seinen Botschafter nach Moskau, dem nach Washington zweitwichtigsten Auslandsposten, entsandt? Sir Stafford Cripps, einen radikalen Hinter-bänkler, einen Sozialisten, der in britischen Regierungskreisen keinerlei Ansehen genießt. Was sollten wir daraus schließen? Nein, Mr Metcalfe, die Signale aus England waren klar. Dort gab es kein echtes Interesse an einem Bündnis mit Russland.«
Litwikows wütende Kritzelei hatte das oberste Blatt zerfetzt. Er ließ den Federhalter fallen.
»Ja«, sagte Metcalfe verständnisvoll. »Der Kreml hatte wirklich keine andere Wahl. Aber diese Vereinbarung mit Hitler - wollen Sie behaupten, sie sei keine Partnerschaft von Dauer? Ein Händedruck, nicht mehr, um den gefährlichen Nachbarn zu beschwichtigen?«
Litwikow zuckte mit den Schultern. »Ich gehöre dem Politbüro an, aber das bedeutet nicht, dass ich an den Entscheidungsprozessen auf höchster Ebene beteiligt bin.«
»Sie wissen es also nicht.«
»Die Fragen, die Sie stellen, sind keine Fragen, die man von einem Playboy-Geschäftsmann erwarten würde.«
»Es liegt in meinem Interesse als Geschäftsmann, sehr gut über Politik informiert zu sein. Vor allem heutzutage.«
»Ich will Ihnen etwas erzählen, woraus Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Letzten Monat haben die Deutschen unauffällig Teile Rumäniens Ungarn zugeschlagen. Wir haben erst davon erfahren, als es schon passiert war.«
»Streit zwischen Hitler und Stalin?«
»Es gibt keinen Streit«, widersprach der Russe hastig.
»Wir pfeifen im Walde, Mr Metcalfe. Wer weiß, was das bedeutet? Ich weiß nur, dass Stalin erwartet, dass seine Vereinbarung mit Hitler lange Bestand haben wird.«
»Erwartet . oder hofft?«
Litwikow lächelte erstmals. Es war das wissende Lächeln eines Zynikers, der alles erlebt hat. »Mein Englisch ist manchmal nicht präzise genug. Vielleicht ist hofft das Wort, das ich eigentlich benützen wollte.«
»Ich weiß Ihren Freimut zu schätzen. Auf meine Diskretion können Sie sich verlassen.« Indem Litwikow offen über den Kreml sprach, ihn sogar vorsichtig kritisierte, brachte er sich selbst in Gefahr.
Litwikows Lächeln verschwand. »Dann möchte ich das schon Gesagte ergänzen. Sie können es als freundliche Warnung auffassen.«
»Liegt die Betonung auf >freundlich< oder auf >Warnung«
»Das müssen Sie selbst entscheiden. Einige meiner Kollegen verdächtigen die Firma Metcalfe Industries seit langem, mehr als nur ein Konzern zu sein. Nach ihrer Überzeugung ist es nicht nur ein kapitalistisches Kombinat, das schon deshalb wachsam beobachtet werden muss, sondern weit mehr. Eine Tarnorganisation zur Wahrung ausländischer Interessen.« Der Blick des Kommissars war durchdringend scharf.
»Ich nehme an, dass Sie's besser wissen«, sagte Metcalfe, ohne diesem forschenden Blick auszuweichen.
»Ich weiß, dass Sie und Ihre Familie gute Verbindungen zu Washington und führenden Kapitalistenkreisen haben. Darüber hinaus weiß ich sehr wenig. Sie sollten wissen, dass ich Ihren älteren Bruder bereits gewarnt habe, dass eine Rückführung Ihrer hiesigen Vermögenswerte vorgenommen wird, falls sich das als nötig erweisen sollte.«
»Rückführung?« Metcalfe wusste genau, was der Kommissar meinte, aber die Drohung sollte deutlich ausgesprochen werden, damit er gegen sie protestieren konnte.
»Beschlagnahme und Verstaatlichung aller Metcalfe-Betriebe, wie Sie sehr wohl wissen.«
Metcalfe blinzelte, ließ aber sonst keine Reaktion erkennen.
»Für Sie ist das vielleicht keine große Affäre, aber ich versichere Ihnen, dass Ihr Bruder von dieser Aussicht wenig begeistert war, als ich vor ein paar Stunden mit ihm telefoniert habe.« Litwikow machte eine Pause.
»Kennen Sie einen gewissen James Mellors?«
»Nein. Sollte ich ihn kennen?«
»Was ist mit Harold Delaware? Oder Milton Eisenberg?«
»Tut mir Leid.«
»Mir auch, Mr Metcalfe. Diese drei Männer waren amerikanische Staatsbürger. Und alle drei wurden von sowjetischen Gerichten als Spione zum Tode verurteilt und hingerichtet. Sie wurden nicht laufen gelassen oder in ihre Heimat abgeschoben. Und glauben Sie, Ihre Regierung hätte ihretwegen Stunk gemacht? Keineswegs. Wichtigere Interessen hatten Vorrang. Fragen internationaler Beziehungen. Die amerikanische Regierung wusste, dass diese Männer schuldig waren. Sie wusste, dass wir das mit schriftlichen
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