Der Tristan-Betrug
dann sagte er: »Ich denke, ihr Eierköpfe müsstet öfter aus eurem Loch heraus. Ich sollte euch mal ins Eins-Zwo-Zwo mitnehmen.« Alle wussten, dass er von dem berühmten Bordell mit der Adresse 122 Rue de Provence sprach.
»Auf diesem Gebiet bin ich versorgt«, prahlte Compton-Jones. »Ich hab jetzt eine feste Freundin.« Er zwinkert den anderen zu und ergänzte: »Ich treffe mich später mit ihr, wenn ich die neue Ladung Ersatzteile abgeholt habe.«
»Ist das deine Vorstellung von einer tiefen Penetration Frankreichs?«, fragte Langhorne.
Compton-Jones lief vor Verlegenheit dunkelrot an, während Metcalfe schallend lachte. Er mochte die Männer, die hier unten arbeiteten, vor allem Compton-Jones. Langhorne und Betts bezeichnete er oft als die Bobbsey-Zwillinge, obwohl sie sich nicht im Geringsten ähnlich sahen. Ihre Arbeit als Morsefunker und Kryptografen war für das Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Sie war aufreibend und zermürbend, und Metcalfe wusste, dass diese Frotzelei zu den wenigen Möglichkeiten gehörte, ihre nervöse Anspannung abzubauen. Außerdem hielten diese drei Metcalfe für ihren persönlichen Errol Flynn und betrachteten ihn mit einer Mischung aus Neid und Ehrfurcht.
Jetzt horchte er mit schief gehaltenem Kopf auf die aus dem Radio kommende leise Musik. »>In the Mood<«, sagte er. »Gute, alte amerikanische Musik - das ist Glen Miller, der aus dem Café Rouge in New York übertragen wird.«
»Nein, sorry«, widersprach Compton-Jones. »Das ist leider das Joe Loss Orchestra, Kumpel. Aus London. Mit seiner Erkennungsmelodie.«
»Na ja, freut mich jedenfalls, dass ihr Jungs sogar Zeit findet, Radio zu hören«, sagte Metcalfe. »Aber irgendwer muss wohl die Arbeit tun.«
Er griff in sein Smokingjackett, zog die etwas mitgenommen aussehenden Papiere aus dem Futter und hielt sie stolz lächelnd hoch. »Die kompletten Pläne des deutschen U-Boot-Stützpunkts in Saint-Nazaire - mit Angaben zu den Bunkern und dem Schleusensystem.«
»Gut gemacht!«, sagte Compton-Jones anerkennend.
Auch Langhorne wirkte sichtlich beeindruckt. »Hast du die von deiner Gestapo-Mieze?«
»Nein, aus dem Arbeitszimmer von Comte Maurice Leon Philippe du Chatelet.«
»Das Vichy-Arschloch?«, fragte Langhorne.
»Genau der.«
»Du willst mich wohl verarschen? Wie bist du in sein Arbeitszimmer gekommen?«
Metcalfe schüttelte den Kopf. »Ein Gentleman genießt und schweigt, Cyril«, sagte er gespielt vorwurfsvoll.
»Seine Frau? Großer Gott, Stephen, hast du denn gar keinen Stolz? Die madame ist eine alte Stute!«
»Und die mademoiselle ist ein munteres kleines Fohlen. Wir müssen diese Pläne von einem Kurier rausbringen und möglichst schnell zu Corky in New York fliegen lassen. Und ich möchte, dass ihr eine Zusammenfassung verschlüsselt und ihm vorab über Funk übermittelt.«
Er meinte natürlich Alfred »Corky« Corcoran. Seinen Boss. Den brillanten Chef des inoffiziellen Spionagerings, zu dessen Agenten auch Metcalfe gehörte.
»Inoffiziell« bedeutete, dass sie nur Corcoran und nicht irgendeiner Behörde oder irgendeinem Komitee unterstanden. Aber ihre Arbeit war nicht illegal, sie lief nicht an der Regierung vorbei. Denn sie basierte auf einer persönlichen Initiative von Präsident Franklin Delano Roosevelt.
Für Amerika war dies eine merkwürdige Zeit. Europa befand sich im Krieg, aber Amerika stand abseits. Amerika beobachtete, wartete. Die Stimmen des Isolationismus waren laut und stark. Ebenso wie die Stimmen derer, die leidenschaftlich forderten, die Vereinigten Staaten müssten sich einmischen, sie müssten Hitler angreifen und ihre europäischen Freunde verteidigen - sonst gerate ganz Europa unter die Herrschaft Hitler-Deutschlands, und dann sei alles verloren. Dann sei Hitler ein unüberwindlicher Gegner.
Aber in Amerika gab es keinen zentralisierten Nachrichtendienst. Roosevelt brauchte dringend verlässliche Informationen darüber, was die Nazis wirklich vorhatten und wie stark der Widerstand gegen Hitler war. Würde England den Krieg überleben? Roosevelt misstraute dem Militärischen Nachrichtendienst, der bestenfalls amateurhaft arbeitete, und verabscheute das Außenministerium, das nicht nur isolationistisch eingestellt war, sondern auch bei jeder Gelegenheit vertrauliche Mitteilungen an die Presse durchsickern ließ.
Deshalb wandte Roosevelt sich Ende 1939 an einen alten Freund und Kommilitonen aus Harvard. Alfred Corcoran hatte im Ersten Weltkrieg in der
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