Der Tristan-Betrug
Generalstabsabteilung G-2 beim Militärischen Nachrichtendienst gedient und war in der Geheimdienstwelt von MI-8 sehr prominent geworden, nachdem die »Schwarze Kammer«, seine in New York stationierten Codeknacker, in den zwanziger Jahren den japanischen diplomatischen Code entschlüsselt hatte. Nachdem die Schwarze Kammer im Jahr 1929 ihre Arbeit eingestellt hatte, spielte Corcoran in den dreißiger Jahren hinter den Kulissen eine wichtige Rolle bei der Beilegung diplomatischer Krisen von der Mandschurei bis München.
FDR wusste, dass Corky der Beste war - und vor allem wusste FDR, dass er ihm vertrauen konnte.
Mit Geldern aus dem Haushalt des Weißen Hauses und der vollen Unterstützung des Präsidenten zog Corky seine Organisation bewusst weit außerhalb der klatschsüchtigen Flure Washingtons auf. Sein streng geheimer privater Nachrichtendienst, der dem Weißen Haus direkt unterstand, hatte seine Zentrale im Flatiron Building in New York und war als weltweit tätiges Handelsunternehmen getarnt.
Corcoran, der freie Hand hatte, die Besten und Intelligentesten anzuheuern, nahm vor allem junge Absolventen der Ivy League Colleges - junge Männer aus guten Familien, die sich in den exklusiven Kreisen der europäischen Oberschicht wohl fühlen würden. Tatsächlich standen so viele der von ihm Angeworbenen im Gesellschaftsregister, dass Witzbolde Corcorans Netzwerk als »Register« zu bezeichnen begannen, und dieser Name blieb ihm. Zu den Männern der ersten Stunde gehörte ein junger Yale-Absolvent namens Stephen Metcalfe.
Als Sohn eines millionenschweren Industriellen und seiner russischen Frau - Stephens Mutter stammte aus einer adeligen Familie, die Russland lange vor der Oktoberrevolution verlassen hatte -, war Stephen mit seinen Eltern viel gereist und hatte ein Schweizer Internat besucht. Er sprach Deutsch, Russisch, Französisch und Spanisch fließend und praktisch akzentfrei; die Metcalfes besaßen große Ländereien in Argentinien und verbrachten dort alljährlich einige Wintermonate. Und ihr Unternehmen unterhielt gute Geschäftsbeziehungen zu staatlichen sowjetischen Stellen.
Seit dem Tod ihres Vaters vor vier Jahren leitete Stephens Bruder Howard - der Verlässliche - das Firmenimperiurn der Familie. Stephen schloss sich Howard gelegentlich an, reiste mit ihm und unterstützte ihn auf jede nur mögliche Weise, aber er wollte sich nicht binden lassen, indem er die Mitverantwortung für die Führung eines Konzerns übernahm.
Außerdem war er mutig, aufsässig und exzessiv lebenslustig -ausnahmslos Eigenschaften, die er nach Corcorans Überzeugung für seine neue Rolle, die eines argentinischen Playboys in Paris, sehr gut würde brauchen können.
Derek Compton-Jones räusperte sich nervös. »Tatsächlich werden wir gar keinen Kurier brauchen«, sagte er.
Langhorne sah kurz auf, dann konzentrierte er sich sofort wieder auf seine Konsole.
»Ach, wirklich? Weißt du einen schnelleren Weg, dieses Zeug nach Manhattan zu bringen?«, fragte Metcalfe.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür in der Rückwand des Raums.
Metcalfe blickte in ein Gesicht, das er hier nicht zu sehen erwartet hätte: das ernste, abgespannte Gesicht Alfred Corcorans.
Kapitel Drei
Der Alte war wie immer untadelig gekleidet. Seine Krawatte war zu einem eleganten Windsorknoten gebunden. Der anthrazitgraue Anzug betonte seine hagere, zaundürre Gestalt. Er roch wie immer nach Pfefferminz - er war süchtig nach Pep-O-Mint Life Savers - und rauchte eine Zigarette. Er hustete trocken.
Compton-Jones setzte sich sofort an seinen Arbeitsplatz, und im Raum entstand lastendes Schweigen. Ihre gehobene Stimmung hatte sich augenblicklich verflüchtigt.
»Jesus, diese verdammten französischen Glimmstängel sind abscheulich! Die Chesterfields sind mir schon im Flugboot hierher ausgegangen - irgendwo über Neufundland. Stephen, wollen Sie sich nicht bei Ihrem Boss einschmeicheln, indem Sie mir ein paar amerikanische Zigaretten besorgen? Sie sind doch so ein verdammter Schwarzhändler, nicht wahr?«
Metcalfe stotterte unwillkürlich ein wenig, als er jetzt vortrat und Corky die Hand schüttelte. Mit der Linken hielt er weiter die gestohlenen Unterlagen umklammert.
»Natürlich ... Corky ... Was tun Sie hier?« Corcoran war alles andere als ein Etappenhengst; er machte häufig Frontbesuche. Aber eine Reise ins belagerte Paris war schwierig, kompliziert und außerordentlich riskant. Er kam nicht oft nach Paris. Für seine Anwesenheit
Weitere Kostenlose Bücher