Der Tristan-Betrug
Dieses Feuer hatte etwas Archaisches, etwas Elementares an sich, das beruhigend auf Metcalfe wirkte. Der alternde Spionagechef hielt viel von Theatralik, von geschickten Inszenierungen; Metcalfe zweifelte keinen Augenblick daran, dass Corky sich ganz bewusst für dieses Haus mit seinen offenen Kaminen, seiner fast sakralen mittelalterlichen Architektur, seiner behaglichen Einrichtung und seiner Lage in einer gepflasterten Altstadtgasse entschieden hatte, weil Besucher sich darin wohl fühlen und so eher geneigt sein würden, dem Beichtvater alle ihre Sünden zu offenbaren.
»Aber noch mehr hat genau so geklappt, wie Sie's geplant hatten«, sagte Metcalfe, der Zorn in sich aufsteigen fühlte. »Nur haben Sie sich nie die Mühe gemacht, mich in den Plan einzuweihen.«
»Stephen ...«, begann Corcoran warnend.
»War's wirklich notwendig, mir Lügengeschichten zu erzählen, statt mir ehrlich zu sagen, wozu ich nach Moskau sollte? Und mussten Sie auch in Bezug auf die Schriftstücke lügen, die Lana an von Schüssler weitergeben sollte? Oder ist Lügen Ihnen bereits zur zweiten Natur geworden? Können Sie gar nicht mehr anders?«
»Ich weiß, dass es für Sie schwierig gewesen sein muss«, sagte Corcoran sehr leise und starrte weiter ins Feuer.
»Was früher zwischen ihr und Ihnen gewesen ist . Es ist wieder aufgeflammt, stimmt's? Die Sache, die alles für Sie erschwert hat, war genau die Sache, die garantiert hat, dass sie tun würde, was Sie von ihr verlangt haben. Sie wollen wissen, weshalb ich Sie belogen habe? Deshalb, Stephen. Genau das war der Grund.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
Corcoran seufzte. »Hätten Sie gewusst, dass Sie Lana auf diese Weise ausnützen müssten, wäre es Ihnen nie gelungen, sie wieder für sich zu gewinnen. Nur Authentizität konnte die Flammen der Liebe entfachen. Ich habe Sie belogen, Stephen, damit Sie Lana nicht belügen mussten. Zumindest nicht von Anfang an.«
Metcalfe schwieg fast eine Minute lang, wie vor den Kopf geschlagen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er musste seiner Wut, die ihn daran hinderte, klar zu denken, irgendwie Luft machen.
»Stephen, Sie wissen nicht die Hälfte von allem, was gegenwärtig passiert. Die Lage ist viel kritischer, als Sie ahnen.«
»Das kann ich kaum glauben, Corky. Ich war dort. Jesus, ich war in der gottverdammten Lubjanka!«
»Ich weiß.«
»Das wissen Sie? Wie zum Teufel ...? Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie eine Quelle beim NKWD haben!«
Corky hielt ihm einen Packen Papier hin. Metcalfe stellte fest, dass es sich um einen Abhörbericht handelte. Er überflog ihn zunehmend verwirrt. Das Dokument enthielt einen detaillierten Bericht über sein Verhör in der Lubjanka - bis hin zu wörtlich wiedergegebenen Passagen aus seinen Gesprächen mit dem NKWD-Ermittler.
»Was ... Woher zum Teufel haben Sie das, Corky? Sie haben eine Quelle in der Lubjanka?«
»Schön wär's! Nein, leider haben wir unsere Informationen aus zweiter Hand.«
»Was meinen Sie mit >aus zweiter Hand«
»Das war scherzhaft gemeint. Seit einiger Zeit können wir Meldungen von Agenten der deutschen Abwehr mithören und entschlüsseln. Was Sie in der Hand halten, ist die Mitschrift einer dieser abgehörten Meldungen.«
»Das heißt also, dass die deutsche Abwehr einen Informanten in der Lubjanka hat?«
Corcoran nickte. »Offenbar einen sehr guten.«
»Jesus!« Metcalfe wandte sich ruckartig vom Feuer ab und starrte Corky an. »Heißt das, dass die Deutschen von unserer Verbindung zu Lana wissen?«
»Offenbar nicht. Sie wissen lediglich, dass Sie flüchtig mit ihr bekannt sind. Nicht von Ihrer professionellen Verbindung zu der jungen Frau. Die wäre ganz sicher erwähnt worden. An unserem Material für WOLFSFALLE sind schwer wiegende Zweifel geäußert worden, aber nicht aus diesem Grund.«
»Was meinen Sie mit >schwer wiegende Zweifel«
»Das Unternehmen steht auf Messers Schneide, Stephen.« Corky nahm einen langen Zug von seiner Zigarette und sah ins Feuer. »In der Frage, ob es klug wäre, Russland anzugreifen, sind Hitlers Generale heillos zerstritten. Es gibt welche, die das schon immer wollten, aber das ist eine fanatische Minderheit. Eine starke Fraktion hat sich von den WOLFSFALLEDokumenten überzeugen lassen. Sie plädiert für einen Angriff schon im Mai kommenden Jahres - bevor die Rote Armee einen Präventivschlag führen kann. Aber im Oberkommando der Wehrmacht gibt es auch Männer, die einen Überfall auf die Sowjetunion
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