Der Tristan-Betrug
aber wir müssen dieser Spur trotzdem nachgehen. Ich möchte, dass Sie sofort Kleist benachrichtigen und ihn zum Schloss in Marsch setzen.«
»Jawohl, Herr Oberführer.«
»Wir müssen alle Möglichkeiten berücksichtigen. Was für Gruppenführer Heydrich höchste Priorität hat, das hat selbstverständlich auch für uns höchste Priorität. Der Amerikaner wird Berlin nicht mehr verlassen. So einfach ist das.«
Kapitel Fünfunddreißig
Schloss Sunderburg lag inmitten dichter, dunkler Kiefernwälder ungefähr dreißig Kilometer nordwestlich von Berlin. Mit seinen Zinnen und massiven Rundtürmen erhob es sich auf einem Hügel, der den Namen Burgberg nicht verdiente, und sah mit seinen steilen roten Dächern und uralten Wällen genau wie die Ritterburg aus dem 14. Jahrhundert aus, die es tatsächlich war. Damals waren die Schüsslers Reichsritter gewesen - und hatten so über dem gesamten niederen Adel gestanden -, aber Anfang des 19. Jahrhunderts war ein illustrer Vorfahr Rudolf von Schüsslers in den Grafenstand erhoben worden. Schloss Sunderburg befand sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz, und obwohl es nie mehr belagert worden war, waren seine Befestigungsanlagen noch heute intakt.
Kundrow hatte Metcalfe erklärt, wie man zum Schloss der Familie von Schüssler kam. Während der Russe andere Vorbereitungen traf, kaufte Metcalfe einige Straßen von seinem Hotel entfernt einem niedergeschlagen aussehenden Deutschen sein Auto ab. Der Deutsche hatte eben seinen klapprigen Opel Olympia geparkt, als Metcalfe auf ihn zutrat und ihm in seinem besten Umgangsdeutsch tausend Reichsmark für den Wagen bot - weit mehr, als diese Klapperkiste wert war. Geld war heutzutage in Berlin knapp; sobald der Autobesitzer sich von seiner Überraschung über das großzügige Angebot erholt hatte, beeilte er sich, Metcalfe die Autoschlüssel auszuhändigen. Erst auf der Fahrt zu Schloss Sunderburg zeigte sich, weshalb der Deutsche sich so bereitwillig von dem Opel getrennt hatte. Das Auto war nicht nur untermotorisiert, sondern hatte auch ein defektes Getriebe; bei jeder kleinsten Steigung zitterte und ächzte es so sehr, dass Metcalfe schon fürchtete, er werde nicht die ganze Strecke schaffen.
Unterwegs gelang es ihm, ein Zeiss-Fernglas für Vogelbeobachtungen, graugrüne Lodenkleidung und feste Stiefel zu kaufen. Als er in der Nähe des Schlosses ankam und den Opel außer Sichtweite im Wald abstellte, war er als Vogelbeobachter getarnt. Die Tatsache, dass es früher Abend war, sprach jedoch gegen seine Tarnung als Naturfreund. Andererseits war diese Tarnung besser als gar keine, und wenn er sich nicht zu auffällig herumtrieb, würde er Zeit für eine kurze Erkundung haben. Im Idealfall würde es ihm gelingen, das Schloss ungesehen zu betreten und sich in aller Ruhe ein Versteck zu suchen, in dem er Lanas nächtliche Rückkehr abwarten konnte.
Bei einem Rundgang um Schloss Sunderburg musste er jedoch feststellen, dass es praktisch unmöglich war, dort hineinzugelangen. Die Burgmauern waren hoch und glatt, und innerhalb der Wälle liefen als Wachhunde abgerichtete Schäferhunde frei herum. Die Festungsmentalität war vermutlich eher eine Stilfrage als eine Notwendigkeit. Reiche Deutsche bevorzugten diesen Lebensstil: ein Statussymbol, das in Kriegszeiten praktischen Wert besaß. Als Metcalfe versuchte, an einer Stelle die Mauer zu erklettern, schlugen die Hunde an, die ihn offenbar gewittert hatten. Statt zu riskieren, das Personal zu alarmieren - Rudolf von Schüssler war noch in Berlin, aber im Schloss würde es Bedienstete geben -, sprang Metcalfe wieder zu Boden und kehrte rasch zu seinem Auto zurück. Aber er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass ein Erklettern der Burgmauer nahezu ausgeschlossen war. Die Hauptzufahrt des Schlosses war durch ein hohes schmiedeeisernes Tor gesichert, hinter dem weitere Schäferhunde und noch mehr Dobermänner bedrohlich knurrten, als er in die Nähe kam. Nur bekannte Fahrzeuge würden dieses Tor passieren dürfen. An das Hauptgebäude schlossen sich die ehemaligen Stallungen an, vor denen eine atemberaubend elegante Daimler-Limousine stand. Sie gehörte offenbar dem Hausherrn. Während Metcalfe hinter einer gewaltigen Eiche versteckt den Schlosshof observierte, kam ein Mann in der Livree eines Chauffeurs aus dem Dienstboteneingang des Hauptgebäudes. Er blieb kurz stehen und schien die knurrenden Wachhunde zu beobachten.
Metcalfe wartete gespannt. Der Chauffeur musste von den Hunden
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