Der Tristan-Betrug
sechs Wachhunde, die sich vor ihm aufgebaut hatten und ihn alle mit grimmiger Intensität anstarrten.
Dies war ein Patt. Jeden Augenblick konnte einer der Hunde anschlagen; dann würden alle loskläffen und das Hauspersonal wecken. Um das Tor aufzusperren und zu öffnen, musste er aussteigen. Es schien keine Alternative zu geben, und die Uhr tickte weiter. Das Unternehmen lief; der Startschuss war gefallen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Er durfte keine Sekunde verlieren!
Ein silbernes Blinken fiel ihm ins Auge.
In einem kleinen Fach im Armaturenbrett steckte eine dünne Metallröhre. Er griff danach . und hielt eine Pfeife in der Hand.
Eine silberne Hundepfeife.
Metcalfe erinnerte sich daran, wie der Chauffeur sie vor einigen Stunden benützt hatte, um die Hunde zu dirigieren. Er kurbelte das Fenster etwas herunter, nahm die Pfeife zwischen die Lippen und blies kräftig hinein. Der einzige Laut war das leise Rauschen der zusammengepresst austretenden Luft; der Pfeifton lag im Ultraschallbereich, sodass ihn nur Hunde hören konnten.
Das Knurren verstummte schlagartig. Die Hunde wichen gut zehn Meter von dem Daimler zurück und legten sich dort gehorsam auf den Boden.
Er öffnete vorsichtig die Fahrertür und behielt dabei die Pfeife für alle Fälle in einer Hand. Dann stieg er aus, ging ans Tor und stellte erleichtert fest, dass der große eiserne Schlüssel steckte. Das einfache Schloss wäre bestimmt leicht zu knacken gewesen, aber auf diese Weise hatte er fünf Minuten gewonnen.
Und er brauchte jede einzelne Minute.
Mit Hilfe der Straßenkarte »Berlin und Umgebung«, die er in dem Daimler gefunden hatte, fuhr Metcalfe zügig, aber vor allem in Ortschaften nie zu schnell, um nicht von der Polizei angehalten zu werden.
Unterwegs rief er sich wieder ins Gedächtnis zurück, was er mit Corcoran und Kundrow vereinbart hatte. Corky, der normalerweise durch nichts zu erschüttern war, war verblüfft gewesen, als Metcalfe ihn aus Berlin angerufen hatte. »Um Himmels willen, mein Junge, wo telefonieren Sie - im Arbeitszimmer des Führers?«, hatte er gefragt. Die Bitte um ein Flugzeug hatte er mit längerem Schweigen quittiert. Metcalfe war darauf gefasst gewesen, dass Corcoran alle möglichen Einwände gegen seinen Plan erheben würde, aber zu seiner Überraschung tat der Alte das nicht. Er beschwerte sich nicht einmal darüber, dass er mitten in der Nacht geweckt worden war. Er äußerte nur einen Einwand: »Das ist nicht so einfach, als riefe man ein Taxi, Stephen. Ich habe keine Ahnung, wie heute Nacht die Sichtverhältnisse, die Wetterbedingungen sind.« Der alte Spionagechef legte den Hörer neben das Telefon, und als er nach einigen Minuten zurückkam, sagte er: »Vom RAF-Jägerflugplatz Tangmere am Ärmelkanal startet sofort eine Lysander, die gegen fünf Uhr im Zielgebiet ist. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Gefälligkeiten ich einfordern musste, um das zu ermöglichen.« Corky nannte den von ihm festgelegten genauen Landeort und rasselte eine Reihe von Anweisungen herunter.
Sobald Metcalfe aufgelegt hatte, rief er Kundrow unter der Nummer an, die der Russe ihm aufgeschrieben hatte. Ihr Gespräch dauerte kaum eine Minute; beide Männer wussten, was zu tun war.
»Ich fahre jetzt in die Botschaft, um Moskau anzurufen«, sagte Kundrow. »Sobald ich Meldung erstattet habe, ist sie unwiderruflich. Dann gibt's kein Zurück mehr.«
Als Metcalfe sich jetzt dem Gelände näherte, von dem die Lysander sie abholen sollte, war er verblüfft. Corky hatte ihn auf diesen Anblick vorbereitet, aber trotzdem war die Realität umwerfend.
Vor ihm schien ein gewaltiger Gebäudekomplex zu liegen, der hufeisenförmig eine weite freie Fläche umschloss, die ein Flugplatz hätte sein können. In der Mitte stand ein hallenartiger Bau aus Stahlbeton mit Wellblechdach; auf beiden Seiten schlossen sich kleinere Ziegelbauten an. Aus ihren zahlreichen Schornsteinen quoll Rauch. Um die Gebäude herum standen Lastwagen, Abfallbehälter und Öltanks. Das Ganze imitierte wohl eine Industrieanlage, wahrscheinlich eine riesige Munitionsfabrik.
Tatsächlich war fast alles nur eine Kulisse. Das Gebäude in der Mitte war echt, aber die Anbauten auf beiden Seiten waren ebenso Attrappen wie die Schornsteine, Lastwagen und Öltanks.
Hier hatten sich früher Filmstudios befunden, deren weitläufiges Gelände die Nazis beschlagnahmt hatten, um dort eine Scheinanlage zu errichten. In den vergangenen Monaten hatten
Weitere Kostenlose Bücher