Der Tristan-Betrug
feurigsten, unermüdlichsten Liebhaberinnen. Schöne Mädchen wie Geneviève, eitel und in sich selbst verliebt, waren im Bett viel eher nervös und egoistisch. Im Gegensatz dazu war Flora, die keine Schönheitskönigin war, sexuell unersättlich. Vor ihren Ansprüchen hatte Metcalfe schon einige Male fast kapitulieren müssen.
Nein, Flora freute sich immer, wenn er sie besuchte. Dessen war er sich sicher.
»Bei dir ist's eiskalt, Liebste«, sagte er. »Wie kannst du da schlafen?«
»Ich habe nur genug Kohle, um das Wohnzimmer jeden Tag für ein paar Minuten zu heizen. Die hebe ich mir für morgens auf. Ich bin's gewöhnt, im Kalten zu schlafen.«
»Ich glaube, du brauchst im Bett einen warmen Körper neben deinem.«
»Daniel!«, sagte sie scheinbar schockiert, in Wirklichkeit erfreut.
Er küsste sie nochmals, diesmal flüchtiger, eher freundschaftlich. Der Pudel Fifi saß auf dem abgetretenen Teppich und beobachtete die beiden interessiert.
»Ich finde, du solltest mir etwas Kohle besorgen«, sagte Flora. »Das kannst du, ich weiß, dass du's kannst. Sieh dir an, womit ich heizen muss.« Sie zeigte auf den Korb neben ihrem Ofen, in dem Kugeln aus Papiermache lagen, das aus Zeitungen, Kartons und sogar Büchern bestand, die in Wasser eingeweicht und dann zu diesen Kugeln gepresst wurden. Weil niemand mehr genug Kohle hatte, wurden in ganz Paris solche Ersatzbriketts verheizt, und viele Leute hatten schon angefangen, ihre Möbel zu verbrennen. »Meine Freundin Marie hat Glück - in ihrem Haus ist ein Gestapomann eingezogen. Jetzt bekommt das ganze Haus so viel Kohle, dass alle es warm haben.«
»Du sollst deine Kohle bekommen, mein Schatz.«
»Wie spät ist's eigentlich? Bestimmt schon zwei Uhr morgens. Und ich muss morgen arbeiten ... nein, heute Morgen!«
»Entschuldige die Störung, Flora, aber ich bin wegen einer wichtigen Sache hier. Wenn ich lieber gehen soll ...«
»Nein, nein«, sagte sie hastig. »Dann bin ich eben morgen ein Wrack, und die grauen Mäuse werden sich über mich lustig machen.« So nannte jedermann die deutschen GestapoHelferinnen, die Blitzmädchen, die graue Uniformen trugen und allgegenwärtig zu sein schienen. »Ich wollte, ich könnte dir echten Tee anbieten. Möchtest du eine Tasse Viandox?« Metcalfe hatte dieses Viandox, eine in ganz Paris erhältliche Bouillon aus irgendwelchen geheimnisvollen Brühwürfeln, herzlich satt. Für manche Leute war das heutzutage eine ganze Mahlzeit: eine Tasse Viandox und ein paar Biskuits.
»Nein, danke, ich möchte nichts.«
»Ich weiß, dass du mir richtigen Tee besorgen könntest - du musst mir gleich welchen besorgen.«
»Ich tue mein Bestes.« Flora hörte nie auf, ihren argentinischen Geliebten um Schwarzmarktwaren anzugehen. Sie bettelte so hartnäckig, sie forderte so erbarmungslos Dinge von ihm, dass er längst nicht mehr das Gefühl hatte, sie auszunützen, wenn sie ihm Informationen beschaffte. Viel eher nützte sie ihn aus.
»Wirklich, Daniel«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wie kannst du einfach unangemeldet bei mir reinplatzen? Und das mitten in der Nacht? Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.« Sie verschwand im Bad und schloss die Tür hinter sich. Zehn Minuten später kam sie, ohne Lockenwickler, frisch frisiert und in einen attraktiven Seidenkimono gehüllt, wieder heraus. Sie trug Lippenstift und hatte dick Make-up aufgelegt. Auch wenn sie keine Schönheit war, wirkte sie so beinahe hübsch.
»Sieh mal einer an!«, rief Metcalfe aus.
»Oh, bitte«, sagte Flora mit einer wegwerfenden Handbewegung. Aber sie errötete, und Metcalfe wusste, dass sie seine Komplimente genoss. Sie bekam nicht viele Komplimente, deshalb erwärmte sie sich an seinen ganz besonders. »Morgen lasse ich mir eine Dauerwelle machen.«
»Du brauchst keine, Flora.«
»Männer! Was wisst ihr schon? Manche Frauen lassen sich jede Woche eine Dauerwelle machen. Tut mir Leid, ich kann dir wirklich kaum etwas anbieten. Nach einem Rezept, das eine Nachbarin mir gegeben hat, habe ich einen Schokoladekuchen gebacken - er besteht aus pürierten Nudeln mit etwas Kakaopulver und schmeckt scheußlich. Möchtest du ein Stück haben?«
»Danke, ich möchte nichts.«
»Wenn ich nur ein bisschen Schokolade hätte .« »Ja, meine Liebe, ich besorge dir auch Schokolade.«
»Das kannst du? Oh, das wäre herrlich! Gestern nach der Arbeit habe ich bei dem Krämer Paquet nur ein Stück Kernseife und ein Pfund Nudeln ergattert. Also gibt's keine Butter zum
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