Der Tristan-Betrug
herumzulaufen. Ein Verstoß gegen die Ausgangssperre konnte eine Nacht hinter Gittern bedeuten. Leute, die auf der Straße aufgegriffen wurden, mussten manchmal die ganze Nacht deutsche Soldatenstiefel putzen oder in Militärküchen Kartoffeln schälen.
Es war ein langer Fußmarsch bis zu Floras Wohnung in der Rue de le Boetie. Stephen hatte seinen starken Hispano-Suiza in der Nähe seiner eigenen Wohnung in der Rue de Rivoli geparkt. Das war nur vernünftig, denn wäre er mit dem Wagen zu der Abendgesellschaft gefahren, hätte er ihn ohnehin in der Nähe der Avenue Foch zurücklassen müssen. Hinter sich hörte er das Grollen eines Automotors. Ein schwarzer Citroen - bestimmt ein Dienstwagen der Gestapo - röhrte vorbei. Seine Insassen hatten es zu eilig, um anzuhalten und einen einzelnen Fußgänger zu kontrollieren, der um diese Zeit längst hätte zu Hause sein müssen.
Die Nacht war kälter geworden, der Wind böig. Metcalfe spürte, wie seine Ohren, seine Fingerspitzen vor Kälte taub wurden. Er wünschte sich, er hätte sich seinen Mantel geholt, bevor er die Abendgesellschaft verlassen hatte, aber das war natürlich nicht möglich gewesen.
Keine Minute später fuhr eine grüne Minna - ein panier à salade, wie die Franzosen sagten, ein Salatkorb - mit Festgenommenen an ihm vorbei. Metcalfe spürte einen Anfall von Paranoia, bis ihm einfiel, dass die meisten Fahrzeuge, die spätnachts unterwegs waren, im Dienst der Besatzungsmacht standen. Dann sah er eine Telefonzelle und überquerte die Straße. Als er sich ihr näherte, sah er das Schild, zweckmäßigerweise mit französischem Text, das die Deutschen ans Glas geklebt hatten: ACCÈS INTERDIT AUX JUIFS, Zutritt für Juden verboten. Im nächsten Augenblick hörte er eine laute Stimme, dazu Schritte, die in seine Richtung kamen.
»He! Sie! Halt, stehen bleiben!«
Metcalfe hob gleichmütig den Kopf und sah einen flic, einen französischen Polizeibeamten, der auf ihn zugerannt kam. Trotzdem ging er zur Telefonzelle weiter.
»He! Sie! Ihre Kennkarte!« Der Polizeibeamte war Anfang zwanzig und sah nicht so aus, als müsse er sich schon rasieren.
Metcalfe zuckte mit den Schultern, lächelte freundlich und gab ihm seine von der Prefecture de Police auf den Namen Daniel Eigen ausgestellte carte d'identité. Der Franzose begutachtete sie misstrauisch. Als er merkte, dass er einen Ausländer angehalten hatte, richtete er sich etwas auf und nahm die Schultern zurück.
»Die Ausgangssperre beginnt um Mitternacht«, sagte der junge Beamte tadelnd. »Danach dürfen Sie nicht mehr auf die Straße; das wissen Sie genau.«
Metcalfe wies mit dem Handrücken auf sein Smokingjackett und lächelte dabei schief. Ich bin ein erbärmlicher Trinker, ein verkommenes Subjekt, besagten seine Haltung, sein reumütiges Grinsen. Zum Glück hatte er keine Gelegenheit gehabt, wieder Straßenkleidung anzuziehen. Sein Smoking war ein gutes Alibi, eine Art Beweis dafür, dass er aus einem verhältnismäßig harmlosen Grund gegen die Ausgangssperre verstieß.
»Keine Ausreden«, knurrte der flic, der sich jetzt erst recht als Tugendbold aufspielte. »Ab wann Ausgangssperre herrscht, ist überall angeschlagen. Sie haben dagegen verstoßen. Ihren Ausweis behalte ich ein, und Sie müssen zur Vernehmung aufs Revier mitkommen.«
Wunderbar, ächzte Metcalfe innerlich. Das muss wieder mir passieren ... Seit Verhängung der Ausgangssperre war er schon unzählige Male kontrolliert, aber noch nie aufs Revier mitgenommen worden. Jetzt drohte Gefahr. Er war sich ziemlich sicher, dass sein gefälschter Ausweis auch einer genaueren Untersuchung standhalten würde, und er kannte natürlich viele wichtige Leute, die sich für ihn verbürgen würden. Teufel, er konnte in Paris jede Menge einflussreiche Freunde anrufen, die sofort seine Freilassung erwirken würden. Aber dazu musste er erst einmal Gelegenheit bekommen. Befasste dieser Kerl sich allzu gründlich mit den über seine Person vorhandenen Unterlagen . Metcalfe war sich nicht sicher, wie gründlich seine Legende aufgebaut worden war, wie viele Schichten von gültigen Unterlagen als Identitätsnachweis für Daniel Eigen existierten. Vielleicht würde er einem scharfen Verhör nicht standhalten .
Die beste Waffe gegen eine Autoritätsfigur war Autorität, das wusste Metcalfe. Das ist die oberste Regel, hatte Corky ihm oft eingeschärft. Tritt Ihnen eine Autorität entgegen, dann müssen Sie immer behaupten, mit noch größerer Autorität zu
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