Der Tristan-Betrug
ein Streichholz an und zündete sie sich in aller Ruhe an. »Diese Frau - diese Ballerina -, die war mal sehr wichtig für Sie, stimmt's?«
»Ja, früher mal. Jetzt nicht mehr.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Corcoran rätselhaft lächelnd, während er eine Lunge voll Rauch inhalierte. »Jetzt hat sie nur einen Ehrenplatz auf Ihrer langen Liste romantischer Affären, stimmt's?«
»So ähnlich.«
»Sie wiederzusehen - in den Armen eines anderen Mannes -, wird also nicht zum Problem für Sie werden?«
Er behielt den Zigarettenrauch weiter in der Lunge.
»Sie haben mir schon schwierigere Aufträge erteilt.«
»Aber niemals einen wichtigeren.« Corky atmete endlich wieder aus. »Stephen, ist Ihnen eigentlich klar, wie wichtig dieser Auftrag ist?«
»Wenn Sie's so ausdrücken«, sagte Metcalfe, »nein, wahrscheinlich nicht. Selbst wenn Rudolf von Schüssler sich als entschlossener Hitler-Gegner erweist und bereit ist, sein eigenes Land zu verraten - was eine kühne Hoffnung ist -, ist er auch nur eine weitere Quelle. Wir haben bestimmt noch andere.«
Corcoran schüttelte langsam den Kopf. Seit ihrer letzten Besprechung in New York schien der Alte noch hagerer geworden zu sein. »Wenn wir das große Los ziehen, weil Sie ihn umdrehen können, Stephen, dann wäre er einer unserer wichtigsten Informanten aus der deutschen Führungsspitze. Er arbeitet eng mit Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, dem deutschen Botschafter in Moskau, zusammen. Seine Familie gehört zur besten Gesellschaft, hat unglaublich gute Beziehungen - Sie wissen ja, wie das ist.« Er lachte trocken in sich hinein. »Sie alle sehen auf den rabiaten Wiener Emporkömmling Adolf Hitler hinab. Sie alle verachten den Führer. Aber sie sind trotzdem deutsche Patrioten. Ziemlich kompliziert.«
»Ist von Schüssler tatsächlich ein deutscher Patriot, wird er das eigene Land nicht mitten im Krieg verraten, selbst wenn er dadurch den Führer stürzen könnte.«
»Seine Loyalität kann sich als komplexer erweisen, als es jetzt den Anschein hat. Aber das wissen wir erst, wenn wir's versuchen. Und falls es uns - Ihnen - gelingt, ihn anzuwerben, könnte er wirklich erstaunliche Informationen liefern.«
»Worüber genau? Selbst ein hoher Beamter des Auswärtigen Amts dürfte nicht in die Militärstrategie von Hitlers innerem Führungszirkel eingeweiht sein«, widersprach Metcalfe. »Er wird keine Einzelheiten der deutschen Pläne für eine Invasion in England kennen.«
»Richtig. Aber er müsste den Stand der Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion bestens kennen. Und darin liegt unsere einzige Hoffnung.«
Metcalfe zuckte verständnislos mit den Schultern. »Die beiden Staaten sind Verbündete. Seit vergangenem Jahr sind Hitler und Stalin in diesem verdammten Krieg Partner. Was gibt's darüber noch zu erfahren?«
Corcoran schüttelte traurig den Kopf, als sei er von Metcalfe enttäuscht. »Ihre Abgesandten haben ein Stück Papier unterschrieben. Einen Vertrag. Aber ein Vertrag gleicht einem Spiegel, Stephen. Man sieht darin, was man sehen will.«
»Das ist mir gerade zu hoch, Corky.«
»Hitler bietet Stalin ein Stück Papier zur Unterschrift an, auf dem steht: Wir sind Freunde, wir haben gleiche Interessen, wir sind Partner. Aber Stalin sieht in diesem Vertrag, was er gern sehen möchte: eine Reflexion seines Ehrgeizes, seiner Hoffnungen, seines Strebens. Und was Stalin in dem Vertrag sieht, entspricht nicht unbedingt Hitlers Sicht der Dinge. Hitler sieht vielleicht etwas ganz anderes. Und wir, die Außenstehenden, der Rest der Welt, ziehen es vielleicht vor, in diesem Spiegel einen Pakt zwischen zwei Schurken zu sehen, die sich wirklich zu weiteren Verbrechen zusammentun oder ein falsches Spiel spielen, bei dem einer den anderen reinzulegen versucht. Wieso vertauscht ein Spiegel rechts und links, aber nicht oben und unten?«
»Sie wissen doch, dass ich Ihre Rätsel meist nicht lösen kann, Corky.«
Corcoran seufzte unmutig. »Er tut's nicht, Stephen. Ein Spiegel vertauscht nicht rechts und links. Er zeigt nur, was er sieht. Er reflektiert, was sich vor ihm befindet.«
Metcalfe nickte verständnisvoll. »Sie wollen wissen, was die Russen über die Deutschen denken, und was die Deutschen von den Russen halten. Das ist die Wahrheit, die Sie erfahren wollen, stimmt's?«
Corcoran lächelte. »>Die Wahrheit ist ein zersplitterter Spiegel. Unzählige Splitter liegen herum. Jeder glaubt, sein Teilchen sei die gesamte Wahrheit.< Wenn Sie mir
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