Der Tristan-Betrug
Metcalfe schob einen Abschnitt der Wandtäfelung beiseite, sodass die schwere Stahltür sichtbar wurde.
Der Drehknopf des Zahlenschlosses stand weiter auf der Zahl sieben, und die hauchdünne Staubschicht war unberührt. Der Safe, in dem Bargeld, verschlüsselte Telefonnummern und alle möglichen gefälschten Ausweise lagen, war nicht geöffnet worden. Metcalfe spürte große Erleichterung.
Wer seine Wohnung so gründlich - und so rücksichtsvoll - durchsucht hatte, hatte seinen Safe, den einzigen Beweis für die Tatsache, dass Daniel Eigen in Wirklichkeit ein amerikanischer Spion war, nicht entdeckt. Und kannte folglich seine wahre Identität nicht.
Sie hatten nicht gefunden, wonach sie suchten.
Aber ... aber was hatten sie eigentlich genau gesucht?
*
Bevor er seine Wohnung wieder verließ, führte er ein Überseegespräch mit Howard in New York.
Sein Bruder war überrascht, aber erfreut, von ihm zu hören.
Noch überraschter war er über Stephens plötzliches Interesse am Manganabbau in der Georgischen S.S.R., den die Metcalfes weiter gemeinsam mit dem sowjetischen Handelsministerium betrieben. Wegen der wuchernden sowjetischen Bürokratie und den unvermeidlichen Schmiergeldern warf dieser dümpelnde Geschäftszweig kaum Gewinne ab. Die Russen hatten schon lange den Wunsch geäußert, den Metcalfes ihren Anteil abzukaufen. Stephen sprach davon, dass das unter Umständen keine schlechte Idee sei. Vielleicht könnte er nach Moskau reisen, sich mit ein paar Leuten treffen und den Verkauf auf den Weg bringen .
Nach längerer Pause, in der nur das laute Rauschen des Transatlantikkabels zu hören war, begriff Howard endlich, was sein Bruder von ihm wollte. Er erklärte sich prompt bereit, die entsprechenden Termine in Moskau zu vereinbaren. »Ich vermag kaum auszudrücken, wie begeistert ich darüber bin«, meinte Howard trocken, »dass mein kleiner Bruder sich jetzt aktiver fürs Familienunternehmen einsetzen will.«
»Du sollst die ganze Last nicht alleine tragen müssen.«
»Dein wieder erwachtes Interesse für geschäftliche Dinge hat garantiert nichts mit einer gewissen Ballerina zu tun, oder etwa doch?«
»Du solltest dich schämen, an der Lauterkeit meiner Motive zu zweifeln!«, sagte Stephen mit einem Lächeln in der Stimme.
Er vertauschte den Smoking rasch mit einem weniger förmlichen Anzug mit Krawatte und verwandelte sich in den argentinischen Geschäftsmann, der er zu sein behauptete. Zum Glück waren seit einigen Jahren ziemlich weite, fast sackartige Hosen in Mode: Sie tarnten seine Pistole im Beinholster.
Als er das Haus verließ und in den klaren, kalten Morgen hinaustrat, konnte er eine düstere Vorahnung nicht ganz unterdrücken.
Ungefähr eine Stunde später saß er im dunklen Schiff einer ein wenig baufälligen Kirche unweit der Place Pigalle. Durch die schmutzigen farbigen Glasfenster der Altarnische fiel kaum Licht ins Kircheninnere. Nur ein paar alte Frauen waren noch in der Kirche, sie knieten nieder, beteten kurz und zündeten Kerzen an. Im Kirchenraum roch es vertraut nach Weihrauch, Schwefelhölzern und Bienenwachskerzen.
Diese kleine Kirche war seit Jahren vernachlässigt worden, aber sie hatte immerhin den Einmarsch der Nazis überlebt. Allerdings hatten die Besatzer in Paris keine Gebäude zerstört, keine Kirchen demoliert oder auch nur geschlossen. Weit davon entfernt. In der Hoffnung, ihre Rechte wahren zu können, hatte die katholische Kirche eine eigene Übereinkunft mit den Besatzern geschlossen und die neuen Herren akzeptiert.
Er tastete abermals nach seiner Waffe.
Kurze Zeit später fiel ihm ein hagerer, zaundürrer Geistlicher in schwarzer Soutane auf, der von der Straße hereinkam und vor einer Heiligenstatue niederkniete. Er zündete eine Kerze an und stand auf. Metcalfe folgte ihm zu der alten Tür, die in die Krypta hinunterführte.
Der kleine, feuchte Raum wurde von einer Hängelampe kaum erhellt. Corcoran schüttelte Metcalfe die Hand und setzte sich neben einem Unbekannten an einen kleinen runden Tisch. Der dritte Mann war das genaue Gegenstück zu Corky: klein, rotgesichtig, verknittert. Sein Hemdkragen war zu eng, seine Krawatte zu kurz, sein Jackett billig und schlecht sitzend. Neben dem eleganten, hageren Corky wirkte er völlig deplatziert.
»James«, sagte Corky demonstrativ zu Metcalfe. »Ich möchte Sie mit Chip Nolan bekannt machen.«
Interessant: Corcoran hatte ihn mit einem falschen Namen angesprochen. Andererseits war Corky für seinen
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