Der Tristan-Betrug
Wahrheit erkannte. Der Alte, der ihm die Karte verkauft hatte: ein verzweifelt wirkender, ehemals eleganter Mann. Verzweifelt genug, um zu tun, was ihm befohlen wurde.
Ein abgekartetes Spiel, nicht wahr?
Sie hatten gewusst, dass er ins Bolschoitheater wollte - wobei sie die Aufpasser, die sowjetischen Behörden, in diesem Fall die elitäre GRU waren -, und sie hatten ihm die Tatsache mitteilen wollen, dass sie das wussten, dass er keine Bewegung ohne ihr Wissen machen konnte. Oder litt er unter Verfolgungswahn?
Nein. Das war kein Zufall gewesen. Vermutlich war er auf dem Weg zum Bolschoitheater beschattet worden, aber falls das stimmte, waren die Überwacher Experten gewesen; er hatte nichts Verdächtiges bemerkt, hatte keine Verfolger entdeckt, und das war das Beunruhigende daran. Normalerweise verstand er sich ziemlich gut darauf, festzustellen, ob er überwacht wurde. Schließlich war das etwas, wofür er ausgebildet war. Und eine Beschattung durch sowjetische Sicherheitskräfte war im Allgemeinen eher unbeholfen und auffällig, weil Raffinesse zugunsten einer deutlichen Warnung geopfert wurde.
Aber wie hatte sich das alles in letzter Minute arrangieren lassen? Er hatte absichtlich nicht versucht, sich eine Eintrittskarte übers Intourist-Büro zu besorgen, wie es Ausländer üblicherweise taten. Er hatte bewusst bis zum letzten Augenblick gewartet, weil er die Gewissheit hatte, eine Karte bei einem Schwarzhändler kaufen zu können.
Erst als er den Teatralnaja-Platz betreten hatte, konnten seine Verfolger gefolgert haben, dass er ins Bolschoitheater wollte. Anschließend hatten sie nur wenige Minuten Zeit gehabt, die kaum ausgereicht haben konnten, um einen Agenten in Position zu bringen.
Und dann wurde ihm klar, wie alles gelaufen war: Er war unter seinem richtigen Namen in Moskau angekommen, war vorher angemeldet gewesen und hatte die nötigen Genehmigungen der zuständigen Stellen gehabt. Die sowjetischen Behörden hatten ein Dossier über ihn; das stand außer Zweifel. Vermutlich wussten sie nicht recht, was ihn hergeführt hatte. Aber sie wussten zweifellos von seiner früheren Verbindung zu Lana. So war es nur logisch, dass er ins Bolschoitheater gehen würde, um seine alte Flamme öffentlich auftreten zu sehen. Ja, sie hatten diesen Schritt vorhergesehen und einen Aufpasser für den Fall hingeschickt, dass er tat, was sie von ihm erwarteten.
Er wurde von Leuten, die wussten, wer er war, genau beobachtet. Das war die Nachricht, die sie ihm übermittelten.
Aber weshalb von der GRU? Wieso von einem Agenten des militärischen Geheimdiensts? Eigentlich hätte der NKWD - das Narodny Kommissariat Wnutrennich Del, das berüchtigte Volkskommissariat des Inneren - das größte Interesse daran haben müssen, ihn genau zu überwachen.
Draußen im Foyer ertönte das letzte Klingeln, das Licht erlosch langsam, und das aufgeregte Stimmengewirr wich gespanntem Schweigen. Das Orchester setzte ein, und der Bühnenvorhang hob sich.
Und dann, nach mehreren Minuten, hatte Toa-Hoa den ersten Auftritt, und Metcalfe sah sie.
Erstmals seit sechs Jahren sah Metcalfe seine Lana wieder und war wie gelähmt, in ihrer Schönheit, ihrer Geschmeidigkeit verloren. Ihr Gesicht schien nur reinstes Entzücken, Transparenz und Freude auszustrahlen: Sie war mit der Musik eins. In diesem Gesicht lag der Himmel. Ihr Publikum hätte Lichtjahre weit entfernt sein können; sie war ätherisch, ein überirdisches Wesen.
Im Vergleich zu ihr wirkten die anderen Tänzer und Tänzerinnen wie Marionetten. Ihre Bühnenpräsenz war elektrifizierend, ihre Bewegungen waren flüssig und kraftvoll zugleich. Sie sprang wie den Fesseln der Schwerkraft entronnen, sie flog wie von Zauberhänden gehoben. Sie schwebte wie personifizierte Musik.
Und für einen Augenblick gestattete Metcalfe seinem Herzen, sie auf ihren Höhenflügen zu begleiten. Erinnerungen an das erste Mal, als er sie tanzen gesehen hatte - in Tristan und Isolde -, stürmten auf ihn ein. Das war die erste und letzte Aufführung dieses Balletts gewesen. Igor Moisejews Versuch, ein Ballett zu deutscher Musik auf die Bühne zu bringen, war töricht gewesen, und das Volkskommissariat für Kultur hatte ihn bald eines Besseren belehrt. Metcalfes Zeit mit Lana war ähnlich abrupt beendet worden. Die Erinnerung an ihre kurze, aber leidenschaftliche Affäre verfolgte ihn noch immer. Wie hatte er sich jemals von ihr trennen können? Aber wie hätte er hier bleiben können? Sie hatten nur eine
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