Der Tristan-Betrug
wäre Sir Stanford Cripps nicht recht, mein Freund. Sein Geschenk ist viel zu wertvoll, und wenn es irgendwie verschwände ... Nun, ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für Folgen hätte, welche Ermittlungen es geben würde . « Er machte eine Pause, zog einige Rubelscheine aus der Tasche und drückte sie dem Wachmann in die Hand. Der Uniformierte machte große Augen, denn das war vermutlich mehr, als er im Monat verdiente.
»Tut mir sehr Leid, Sie belästigen zu müssen«, fuhr Metcalfe fort, »aber ich muss das Geschenk wirklich Miss Baranowa persönlich übergeben.«
Der Wachmann sah nach beiden Seiten, während er rasch das Bestechungsgeld einsteckte. »Also, worauf warten Sie noch?«, fragte er mit amtlichem Stirnrunzeln. Er forderte Metcalfe mit einer Handbewegung zum Weitergehen auf. »Los, los, gehen Sie schon!«
Hinter der Bühne herrschte reger Betrieb, weil Bühnenarbeiter große Kulissen verschoben, darunter eine riesige gemalte chinesische Hafenstadt mit dem gewaltigen Bug eines sowjetischen Schiffs vor orangerotem Himmel. Eine kleine Gruppe von Tänzern, die teils russische Matrosen, teils chinesische Kulis darstellten, stand rauchend zusammen. Mehrere stark geschminkte Tänzerinnen huschten als Chinesinnen in Satin-Tutus und Ballettschuhen vorbei. Metcalfe konnte ihre parfümierte Theaterschminke riechen.
Eine Tänzerin, die er fragte, wies ihm den Weg zu einer mit einem rot-goldenen Stern gekennzeichneten Tür. Sein Herz schlug rascher, als er anklopfte.
»Da?«, fragte eine gedämpfte Frauenstimme.
»Lana«, sagte er.
Die Tür wurde aufgerissen, und sie erschien vor ihm. Das seidige schwarze Haar zu einem straffen Nackenknoten zusammengefasst, die großen, klaren braunen Augen unter der chinesischen Maske blitzend, die fein modellierte Nase, die hohen Wangenknochen, der rot gemalte Schmollmund. Die atemberaubende Schönheit. Sie war umwerfend, in Person noch viel schöner als auf der sorgfältig ausgeleuchteten Bühne.
»Schto wy chatitje?«, fragte die grazile Tänzerin brüsk, ohne zu dem Besucher aufzusehen. »Was wollen Sie?«
»Lana«, wiederholte Metcalfe leise.
Sie starrte ihn an, dann zeigte ihr Blick, dass sie ihn wiedererkannte. Ihr Gesichtsausdruck wurde für Bruchteile einer Sekunde weich, dann verhärtete er sich zu hochmütiger Arroganz. Der flüchtige Augenblick, in dem sie weich und verwundbar gewirkt hatte, war vorbei; Lana machte jetzt einen amüsiert selbstbewussten Eindruck.
»Sieh mal an!«, sagte sie mit samtener Stimme. »Ist das wirklich mein guter alter Freund Stiwa?«
Stiwa - das war ihr Kosename für ihn gewesen. Vor sechs Jahren hatte sie ihn mit weicher, seidiger, fast schnurrender Stimme so genannt, aber jetzt trällerte sie diesen Namen so, dass er fast - konnte das sein? - verächtlich klang. Dabei lächelte sie herablassend: eine Primaballerina, die geruhte, einen ihrer vielen Verehrer zu empfangen. »Was für eine nette Überraschung.«
Metcalfe konnte nicht anders, als nach Lana zu greifen, sie in die Arme zu schließen, aber als er sie auf den Mund küssen wollte, drehte sie rasch das Gesicht zur Seite und bot ihm stattdessen ihre weiß gepuderte Wange dar. Die Kraft ihrer schlanken Arme überraschte ihn, als sie etwas zurückwich, wie um diesen lieben alten Freund besser betrachten zu können. In Wirklichkeit schien ihre Bewegung jedoch darauf berechnet zu sein, sich aus seiner Umarmung zu lösen.
»Lana«, sagte Metcalfe. »Entschuldige, dass ich dich so überfalle, duschka.« Duschka, Liebling: einer seiner früheren Kosenamen für sie. »Ich bin geschäftlich in Moskau, und als ich gehört habe, dass du heute Abend hier in der Hauptrolle auftrittst ...«
»Wie schön, dich zu sehen. Wie aufmerksam von dir, dass du vorbeigekommen bist.« In ihrem Tonfall lag etwas beinahe Spöttisches, etwas übertrieben Förmliches.
Metcalfe zog ein schwarzes Etui aus der Innentasche seines Smokingjacketts und hielt es ihr hin.
Sie griff nicht danach. »Für mich? Wie liebenswürdig. Aber ich muss jetzt leider weitermachen und mein Makeup auflegen. Wirklich eine Schande, wie knapp an Personal das Bolschoi heutzutage ist.« Ihre Handbewegung umfasste die winzige Künstlergarderobe mit einem dreiteiligen Spiegel über dem kleinen Schminktisch, auf dem Haarbürsten und Schminktiegel, Fettcreme zum Abschminken und zerschlissene weiße Frotteehandtücher mit den groß eingewebten gelben Buchstaben B und K für »Bolschoikünstler« durcheinander lagen. In
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