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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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Pfad der Tugend blieb. Er fand sie beruhigend.
    Gleichzeitig stellte ihre Anwesenheit Metcalfe jedoch vor ein Problem. Es gab Zeiten, in denen eine Beschattung keineswegs störend, sondern geradezu willkommen war - beispielsweise bei seinen Besuchen im Handelsministerium. Er wollte, dass der NKWD ihn bei seinen zur Tarnung geführten Verhandlungen beobachtete. Aber heute Morgen musste er diese Leute abschütteln, ohne den Eindruck zu erwecken, es absichtlich zu tun. Hängte er die Beschatter allzu geschickt ab, würden in der Lubjanka, der gefürchteten NKWD-Zentrale, alle möglichen Alarmglocken schrillen. Dort würden sie wissen, dass er sich nicht nur verdächtig benahm, sondern offenbar mehr als ein gewöhnlicher amerikanischer Geschäftsmann war. Sie würden erkennen, dass er ein Geheimdienstagent war.
    Heute Vormittag würde er ein Tourist sein, nicht mehr als das. Ein Tourist, der die Sehenswürdigkeiten der sowjetischen Hauptstadt besichtigen wollte. Entsprechend musste er sich verhalten, was verschiedene Verhaltensmuster erforderte: keine jähen Ausweichmanöver, keine plötzlichen Bewegungen, trotzdem keine allzu exakt koordinierten Handlungsabläufe. Er durfte nicht allzu zielstrebig wirken, als sei er zu einem bestimmten Ort, zu einem Treff mit jemandem unterwegs. Nein, er würde sich mit einer plausiblen Willkürlichkeit bewegen und wie ein richtiger Tourist überall dort stehen bleiben müssen, wo ihm etwas ins Auge fiel.
    Und trotzdem würde er seine Beschatter unterwegs irgendwie abhängen müssen.
    An einem Stand auf dem Gehsteig verkaufte eine alte Frau irgendein rätselhaftes Erfrischungsgetränk. Ein Schild identifizierte es als limonad, was die russische Bezeichnung für jedes kohlensäurehaltige Getränk war. Russen, alle mit Pelzmützen, deren Ohrenklappen wie Eselsohren herabhingen, warteten in langer Schlange schafsgeduldig darauf, für ein paar Kopeken ihre Mischung aus Sodawasser und rotem Sirup aus dem gemeinsamen Glas trinken zu dürfen. Metcalfe blieb stehen, als sei er neugierig. Während er die in der Schlange Wartenden betrachtete, kontrollierte er die Position seiner Beschatter. Der eine war achtzig bis hundert Meter hinter ihm und kam mit schwerem Schritt näher; der andere tat so, als stehe er auf der Straßenseite gegenüber vor einer Telefonzelle an. Beide waren in Position.
    Sie beobachteten ihn, achteten auf Abstand und ließen ihn so wissen, dass er überwacht wurde. Näher heranzukommen, wäre verdächtig gewesen; weiter wegzubleiben, wäre unpraktisch gewesen.
    Metcalfe schlenderte im gemächlichen Tempo eines Touristen, der die Sehenswürdigkeiten einer fremden Großstadt bestaunt, weiter den breiten Boulevard entlang. Der Wind wehte stoßweise, heulte manchmal, brachte einzelne Schneeflocken und Eiskristalle mit sich. Metcalfes Stiefel - keine walenki aus Filz, sondern die polierten Lederstiefel eines reichen Amerikaners - knirschten auf dem Flugschnee. Kurze Zeit später sprach ihn ein einarmiger Zeitungsverkäufer an, ein alter Mann, der die Zeitungen Trud, Iswestija und Prawda verkaufte. In seiner einen Hand hielt er mehrere Exemplare eines kleinen roten Buchs, die er vor Metcalfe schwenkte. »Einen halben Rubel für dieses Liederbuch«, rief der zahnlose Alte fast verzweifelt. »Alle unsere größten sowjetischen Lieder!«
    Mit hoher, brüchiger Stimme sang er: »>Stalin, unser großer Vater, unsre Sonne, unser Sowjettraktor .. .<«
    Metcalfe lächelte ihn freundlich an, schüttelte erst den Kopf und blieb dann stehen, weil er eine Idee hatte. Er sah eine Straßenbahn kommen: einen Zug der auch als Balschaja-Krugoswetka bekannten Bukaschka-Linie, die auf dem Gartenring verkehrte. Sie rollte langsam in den äußersten Bereich von Metcalfes Blickfeld. Einer der Beschatter gab vor, sich auf der Straßenseite gegenüber für die Auslage eines Schuhgeschäfts zu interessieren; tatsächlich beobachtete er jedoch Metcalfe in der spiegelnden Scheibe. Der zweite Mann befand sich auf Metcalfes Straßenseite und achtete darauf, reichlich Abstand zu halten. Im nächsten Augenblick würde er den Stand der alten Limonadenverkäuferin erreichen, und wenn Metcalfe den richtigen Moment abpasste, würde der Beschatter ihn für kurze Zeit nicht sehen können. Er zog seine Geldbörse, während er auf den zahnlosen alten Zeitungsverkäufer zutrat. Der Beschatter hinter ihm würde sehen, dass Metcalfe stehen blieb, um ein Liederbuch zu kaufen, was mindestens eine halbe Minute dauern würde,

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