Der Tristan-Betrug
Sowjetbürger, die weit von Moskau entfernt lebten, sodass ein Akzent nicht gleich Misstrauen wecken würde. Aber seine Kleidung würde ihn verraten.
Metcalfe begann, sich im Hinterkopf eine Geschichte zurechtzulegen, die er notfalls erzählen konnte. Er sah wie ein Amerikaner auf Besuch aus, also würde er einer sein. Er war ein Wochenendgast in der Botschaftsdatscha - Lana hatte erzählt, von Schüssler und sie würden dort übernachten, also war das plausibel - und hatte sich einfach bei einem nächtlichen Spaziergang verlaufen. Oder vielleicht würde er behaupten, er komme von einem Rendezvous im Wald. Es gab eine Frau -eine verheiratete Frau - die Frau eines Botschaftsattaches. Sie hatten sich heimlich im Wald getroffen, und die Frau war schon in die Datscha zurückgekehrt ... Fieberhaft arbeitete er eine Version nach der anderen aus und klopfte jede auf Logik und Glaubwürdigkeit ab.
Und zugleich erledigte er die Arbeiten, die dringend getan werden mussten. Aus einer Hosentasche holte er ein kleines, rechteckiges Metallkästchen mit zwei Steckkontakten: den Kristall, der in dem anderen Koffer, der in seinem Hotelzimmer stand, so raffiniert eingebaut gewesen war, dass er wie ein Teil des Schlosses ausgesehen hatte. Der Kristall enthielt verschlüsselt die Frequenzen, auf denen er senden und empfangen konnte. Es wäre gefährlich gewesen, ihn im Funkgerät zu lassen. Wurde der Koffer gefunden, wäre die operative Sicherheit gefährdet gewesen. Man bewahrte Schlüssel und Schloss nicht am selben Ort auf. Er steckte den Kristall in den Stecksockel im unteren Teil des Geräts, stöpselte den Kopfhörer ein und setzte ihn auf.
Dann knipste er die Stablampe an und stellte sie so auf, dass sie ihm als Arbeitslampe dienen konnte. Er würde rasch arbeiten müssen, denn er saß mitten im Wald auf einer Insel aus Licht und musste aus mehreren hundert Metern Entfernung zu sehen sein. Und falls er hier überrascht wurde, hätten die Umstände nicht belastender sein können. Er musste damit rechnen, sofort verhaftet und in den Kellern der Lubjanka hingerichtet zu werden.
Aus der Innentasche seiner Jacke holte er ein Päckchen Lucky Strikes und einen Füllfederhalter. In der Zigarettenpackung waren mehrere kleine Blätter Papier versteckt, von denen er eines herauszog. Die Blätter gehörten zu einem Einmalblock, der auf nitriertes Reispapier gedruckt war, das leicht entflammbar war; es ließ sich auch in heißem Wasser auflösen oder notfalls verschlucken. Dann schraubte er den hinteren Teil des Füllers ab, in dem eng zusammengefaltet ein fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter großes Seidentuch steckte. Metcalfe schüttelte es aus und strich es auf der Unterlegplane glatt. Das gesamte Seidenquadrat war mit gitterförmig angeordneten Buchstaben in Fünfergruppen bedeckt.
Diese beiden Dinge - der Einmalblock aus Reispapier und der auf Seide gedruckte Schlüsselcode - ergaben gemeinsam das sicherste Verschlüsselungssystem. Die so genannten Vigenere-Tafeln waren vor kurzem in London von Churchills Special Operations Executive zum Gebrauch für Agenten im Einsatz entwickelt worden. In Bezug auf Codes und Verschlüsselungsverfahren seien die Briten den Amerikanern weit voraus, hatte Corky oft geklagt, weil sie die Notwendigkeit von Spionage viel ernster nahmen. Das Geniale an diesem System war nicht nur, dass es narrensicher und ziemlich leicht erlernbar war, sondern auch, dass es sich nicht knacken ließ. Jeder Buchstabe des Alphabets wurde durch einen völlig zufällig ausgewählten anderen Buchstaben ersetzt; dabei ließ sich kein Schema entdecken, sodass selbst abgefangene Funksprüche für den Feind wertlos waren. Jeder Schlüssel wurde nur einmal benützt und dann vernichtet; das einzige Duplikat war in der Gegenstelle vorhanden, und kein Code glich dem anderen. Offiziell hieß dieser polyalphabetische Ersatzcode »infiniter inkohärenter Schlüssel«. Corky bezeichnete ihn oft als die perfekte Waffe.
Metcalfe schaltete das Funkgerät ein, dann stellte er einen Kippschalter auf Abstimmen. Er hielt eine Taste gedrückt und drehte den mit einem Pfeil markierten Knopf, bis ein Signallämpchen aufleuchtete. Dann legte er den Schalter auf Senden um und drehte den Abstimmknopf in die Position, in der das Lämpchen am hellsten leuchtete und so die Frequenz mit dem stärksten Signal anzeigte. Damit war das Gerät sendebereit.
Seine Nachricht hatte er natürlich schon zuvor niedergeschrieben und verschlüsselt. Es war eine
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