Der Triumph der Heilerin.indd
Stoff, aus purpurrotem Samt und weißer Seide. Vier Herzogstöchter und vier Grafentöchter trugen die lange, mit einem Winterpelz gefütterte Schleppe. Die Königin genoss das ansehnliche Gewicht ihrer Kleidung, sie genoss die Hitze der vielen Stoffschichten und sie spürte verzückt den Druck der Krone. Nie zuvor hatte ihr anmutiger Hals freudiger die würdevolle Last getragen, nicht einmal bei ihrer Krönung vor vielen Jahren. Wenn sie sich nach rechts und links verneigte, Freunde begrüßte und Feinde übersah, dann glitzerten und blitzten die kostbaren Edelsteine und das Gold, aus dem die Krone geschmiedet war.
Sie war eine strahlende Erscheinung, und sie wusste es. Heller als Kerzenlicht und prächtiger als die Bilder der Heiligen, die den Hochaltar hinter dem Lettner schmückten, zog sie das Licht auf sich und verstärkte es auf eine Weise, die sogar das Grabmal des heiligen Edward, des Bekenners und Königs, in den Schatten stellte. Und obwohl sie nur eine sterbliche Frau war, verneigte sie sich, als sie die Marienkapelle betrat, wie eine Königin vor einer anderen Königin. An diesem Tag war sie der göttlichen Maria, der Kaiserin des Himmels, ebenbürtig, und jene, die sie sahen, wussten es.
Alle waren sie gekommen, ihren Sieg zu bezeugen. Die Kirche war voll, brechend voll. Sämtliche Barone, Lords, Grafen und Herzöge von England mitsamt ihren Frauen und Töchtern waren zugegen. Sie waren üppig wie Götzen gekleidet, trugen Perlenschnüre und Edelsteine um den Hals und warteten Reihe um Reihe, dass Elizabeth Wydeville an ihnen vorüberschreite. Sie hofften, sie möge nicken, möge sie anerkennen auf ihrem Weg aus der Abtei hinaus in eine strahlende, verlockende Zukunft.
Doch die Königin hatte nichts vergessen, anders als Edward es für sich behauptete. Sie hatte nicht vergessen, dass so mancher, der an diesem Tag Spalier stand, ein Verräter war. Clarence dort drüben - ein Verräter, ein missgünstiger Bruder und ein Verbündeter Warwicks und jener Frau, Margaret von Anjou, die es gewagt hatte, sich Königin zu nennen. Und dieser Clarence erdreistete sich, Elizabeth Wydeville so strahlend anzulächeln, sich so tief vor ihr zu verneigen, dass niemand den Zorn in seinem Herzen ahnen konnte. Aber sie kannte seine Bosheit, und ihr Zorn war dem seinen ebenbürtig, als sie ihn erblickte. Und als sie auf gleicher Höhe mit ihm war, wandte sie bewusst den Kopf von ihm ab, ja, drehte ihm fast den Rücken zu, und blickte demonstrativ und betont zärtlich zu Richard von Gloucester, der neben George von Clarence kniete. Das ist meine wahre Meinung von dir, George, sollte diese Geste sagen. Du bist Staub unter meinen Füßen.
Die Beleidigung tat ihre Wirkung, im gleichen Augenblick riss der Freudenschleier, der für diesen Anlass so sorgfältig vorgetäuscht worden war, und das Gesicht von Edwards jüngerem Bruder verzog sich für einen kurzen Augenblick zu einer hässlichen Fratze. Aber dann kehrte das Lächeln wieder auf sein Gesicht zurück. Auch wenn es ein starres Lächeln war, so war es doch ein Lächeln. Neben George neigte Richard von Gloucester andächtig sein Haupt und hoffte, dass niemand sein hämisches Lächeln gesehen hatte. Er hatte Edwards Gemahlin noch nie leiden können, aber an diesem Tag war er stolz auf sie. George gegenüber empfanden sie beide gleich.
Ein Flüstern eilte von Mund zu Mund und setzte sich bis zum Altar, zu den Türen und den Emporen fort, unter denen Elizabeth einherschritt. Ohne auch nur den Kopf zu drehen, sah Elizabeth, wie die Höflinge mit demütig geneigtem Kopf leise miteinander sprachen. Was kümmerte es sie? Sollte Edward sie später ruhig tadeln für ihr Verhalten gegenüber Clarence. Diesen Moment des Triumphs wollte sie sich nicht nehmen lassen.
Sie hatte Edward Plantagenet einen Sohn geboren. Mehr Söhne würden folgen. Sie war fruchtbar. Sie war die Königin, und sie hatte ihr Königreich zurückgewonnen.
Der König schritt, huldvoll nach allen Seiten seinem neu zusammengefundenen Hofstaat zunickend und lächelnd, zum Bankettsaal des Westminsterpalasts, wo das Festmahl zur Geburt seines Sohnes stattfinden sollte. Leise flüsternd führte er eine sehr private Unterhaltung.
»Wo ist sie, Hastings?«
Der Großkämmerer von England, der nach den überwältigenden Siegen seines Herrn bei Barnet und Tewkesbury gerade wieder in sein Amt eingesetzt worden war, unterdrückte ein verärgertes Seufzen. Ausgerechnet an diesem Tag, an dem Edward und Elizabeth zur
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