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Der Triumph der Heilerin.indd

Titel: Der Triumph der Heilerin.indd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war schwarz und viel zu schwer, um ihn allein tragen zu können.
    Keuchend vor Anstrengung setzten Anne und Deborah den Frauenstein aufrecht in die Mitte ihres kleinen Kreises. Auf dem Kopf der Steinsäule waren Wachsspuren zu erkennen, die sich wie Haare nach unten zogen. Anne berührte sie mit bebenden Fingern. Sie betteten den Frauenstein in eine hastig gegrabene Vertiefung, dann entzündete Deborah eine Kerze. Das Schlagen des Feuersteins klang in der Dunkelheit ungewöhnlich laut. Sie reichte die brennende Kerze ihrer Tochter, die sorgfältig frisches Wachs über die alten Wachsspuren tröpfeln ließ. Ihr Licht sollte in dieser Nacht darin Halt finden.
    Anne schloss die Augen und legte schützend ihre hohlen Hände um die zitternde Flamme, die langsam größer wurde. Sie spürte die Wärme auf ihren Handflächen. Ein dünner Rauchfaden zog durch die eisige Luft. Der Honigduft des Wachses erinnerte fern an den Sommer.
    »Bist du bereit, meine Tochter?«
    Anne nickte. »Ich bin bereit, Mutter.«
    Deborah beugte sich vor und öffnete die Nadel, die Annes Mantel am Hals zusammenhielt. Sie war aus Gold und stellte einen kleinen Drachen dar, dessen blinde Perlenaugen dieselbe Farbe wie die verblassenden Sterne hatten. Mit einer raschen Bewegung schüttelte Anne den Umhang von sich. Darunter war sie nackt. Die kalte Nachtluft berührte ihre Haut, und wie ein Schwimmer, der in eiskaltes Wasser taucht, schnappte sie kurz nach Luft.
    Deborah spürte die Kälte in ihren eigenen Knochen, unterdrückte aber jegliche Regung von Angst oder Mitleid. Dies war wichtig, denn das Opfer musste freudig gegeben werden. »Nun?«, sagte sie.
    Anne nickte. Die Frauen knieten zu beiden Seiten der Steinsäule nieder und fassten sich an den Händen, so dass ihre Arme den Stein vollständig umfingen. »Das Opfer.«
    Zitternd streckte Anne eine Hand zur Kerze aus, und Deborah zog eine Ahle aus ihrer Gürteltasche. Mit einer raschen Bewegung stach sie in den ausgestreckten Zeigefinger der jungen Frau, so dass erst einer, dann noch ein Blutstropfen in das durchscheinende Herz der Flamme tropfte. Ein Fauchen wie von einer Katze, dann der Geruch von brennendem Eisen, dann flammte die Kerze wieder auf und brannte, ohne zu flackern, als reine, blassblaue Flamme.
    Deborah fing mit flüsternder Stimme an zu singen: »Mutter, Mutter aller Menschen, höre uns, höre deine Kinder.«
    Anne biss die Zähne zusammen, um die beißende Kälte abzuwehren, und versuchte, sich in die Dunkelheit zu versenken. Ihre Augen fixierten die Umrisse der Flamme, ihre Lippen wiederholten Deborahs Worte. Ihre Hände waren taub vor Kälte und ihre Lippen starr. Die Flamme, konzentriere dich auf die Flamme. »Bei den vier Winden und den sieben Meeren, höre uns. Bei der Sonne, beim Mond, bei den Sternen, höre uns. Wir sind deine Kinder, und wir können in der Dunkelheit nicht sehen. Wir bitten dich, bringe uns Licht, damit wir erkennen, was zu tun ist, damit wir verstehen, was wir tun dürfen. Mutter aller Menschen, Mutter aller Menschen ...«
    Nichts. Gar nichts. Anne hatte aufgehört zu zittern. Hinter ihren geschlossenen Lidern sah sie die roten Umrisse der Flamme. Vielleicht wurde sie selbst zu Stein, verwandelte sich in einen Felsen und bliebe auf alle Ewigkeit hier? Wie traurig. Als kleines Mädchen hatten ihr die Statuen im Winter immer so leidgetan. Sie hatte sich um sie gesorgt, wenn sie im dunklen Eisregen, in Schnee und Frost ausharren mussten ...
    Nun war alles um sie schwarz, eine undurchdringliche Finsternis. Nichts war zu sehen, keine Flamme, nicht einmal eine Ahnung von einer Flamme. Aber sie fühlte sich wohl in der samtenen Dunkelheit. War ihr denn nicht mehr kalt? Ja, ihre Hände, ihre Finger, sogar ihr Gesicht fühlten sich wärmer an, als würde sie an einem Feuer sitzen. Aber das wäre seltsam, denn auch ihr Rücken war warm. Anne kicherte. Erstaunlich! Wenn man sich normalerweise im Winter vorn wärmte, musste man sich ständig drehen, sonst wurde der vom Feuer abgewandte Teil des Körpers eiskalt.
    Lady Anne? Eine Männerstimme. Wie eigenartig, sie hatten doch die große Mutter angerufen.
    Lady Anne? Die Stimme klang gequält.
    »Ja, hier bin ich. Wer bist du?«
    Ich bin jetzt ein Namenloser, aber ich bin ein Diener Thors auf alle Ewigkeit. Doch einst war ich ein Bote des Königs.
    Anne hatte plötzlich Angst. »Ein Diener Thors? Aber ... du bist gestorben.«
    Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen. Ich bin gekommen, sie zu sagen. Fragt mich. Dies

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