Der Triumph der Heilerin.indd
auf die Wärme ihres Bettes zu verzichten. Ihr Entschluss war von Schuldgefühlen geleitet und sollte ihre Ängste in Schach halten. Den Rest dieser schweren Nacht betete sie den Rosenkranz und lauschte dem Stöhnen ihrer schlafenden Tochter, der entthronten Königin. Wenn es einen Gott gab, so würde er ihre Gebete vielleicht erhören. Was hatte sie zu verlieren? Was hatten sie alle zu verlieren, was nicht schon längst verloren war?
Kapitel 11
Louis XI., König von Frankreich, war von Höflingen umgeben, die schworen, er sei der schönste Mann auf Erden. Er wusste, dass sie logen, und manchmal, wenn er guter Stimmung war, belustigte es ihn, wie weit ihrer Unterwürfigkeit reichte, wenn sie seine Gunst gewinnen wollten. Und da sie die ganze Zeit um seine Gunst buhlten, übertrafen sie sich gegenseitig darin, wann immer er sie bat, sein Aussehen zu beschreiben, ihn einen Adonis, einen wahrhaften Apollo zu nennen. Unglücklicherweise verlor das Spiel schnell seinen Reiz, denn Louis ergötzte sich zwar an der menschlichen Dummheit, zeigte sie doch seine Überlegenheit, aber er ärgerte sich über die darin enthaltene Verachtung. Begriffen diese Narren denn nicht, dass er genau wusste, wie er aussah? Er mochte sein eigenes Gesicht nicht anblicken und vermied es deshalb, in Spiegel zu sehen. Vor allem die Länge und Form seiner Nase beleidigten sein Auge, aber dagegen konnte man eben nichts machen. Die Nase, mit der er geboren wurde, würde ihn begleiten bis ins Grab - außer Lepra fräße sie ihm weg. Er hatte eine krankhafte Angst vor Lepra und anderen schrecklichen Krankheiten. Bei diesem Gedanken schlug der König ein Kreuz und berührte das Fingerknöchelchen des heiligen Louis, einer seiner Vorfahrn, das in einem mit Golddraht umwickelten, kleinen Malachitschrein an seinem Hals hing. Im Gegensatz zu anderen Männern - Edward Plantagenet, zum Beispiel - wurde Louis kaum von sexueller Be-gierde geplagt, trotzdem, auch er war ein Mann. Und da seine Ehefrau ihn nicht sonderlich anzog, nahm er wie die meisten Männer die Gefahr der Ansteckung auf sich und vergnügte sich gelegentlich mit anderen Frauen.
Hätte auch nur einer seiner Höflinge die Kühnheit besessen, ihm zu sagen, sein unstillbares Verlangen nach Vernichtung seiner beiden Erzfeinde - Edward Plantagenet und Karl von Burgund - rühre eigentlich daher, dass er sie um ihr blendendes Aussehen beneidete, und weniger, weil er ihr Land begehrte, wäre der König in lautes, zynisches Lachen ausgebrochen und hätte das Thema gewechselt. Diese Behauptung stimmte natürlich. Louis, der verschlagene, scheinheilige, schlaue Louis, war eifersüchtig auf seine Gegner, auf ihr Aussehen und auf ihre einnehmende Ausstrahlung. Und da er ein kaltes Herz hatte und von den Menschen, die ihn umgaben, kaum Aufrichtigkeit erwarten konnte, war es ein Leichtes, sich selbst, seinen Hof und seine Verbündeten davon zu überzeugen, dass Edward, der Thronräuber, und Karl, der verräterische Herzog und sein Cousin, die vollkommene Vernichtung verdienten. Die Begründung dafür war einfach: Sie stellten sich seinem Willen entgegen, dem Willen des geweihten Königs von Frankreich und der Franzosen. Und nie zuvor war die Gelegenheit so günstig gewesen, beide mit einem Streich zu erledigen. Edward war aus seinem Königreich vertrieben worden, und Karl war durch den Verlust seines wichtigsten Verbündeten gegen die Franzosen entscheidend geschwächt. Das war gut, sehr gut. Trotzdem konnte Louis an diesen Umständen keine richtige oder dauerhafte Freude empfinden, obwohl er selbst viel und seine Untergebenen noch mehr dafür getan hatten, diese Umstände herbeizuführen. Eigentlich konnte er sich fast nie über etwas freuen. Das Leben war beschwerlich und lästig wie immer.
»Das ist unerträglich! Ich habe Asche in meinem Auge!«
Es war November, und von Norden her wehte ein kalter
Wind. Louis wickelte sich seine Gewänder enger um den Leib und rief nach den Dienern, damit die das qualmende Feuer richteten. Louis, der das ganz Jahr hindurch rastlos sein Königreich zu bereisen pflegte, weilte zur Zeit in dem für Pariser Maßstäbe primitiven Schloss in der Provinzhauptstadt Reyns. Seine gelangweilten und missmutigen Höflinge waren es leid, jetzt, da der Winter durch das Land zog, selbst auf den einfachsten Komfort verzichten zu müssen. Sie gierten nach jeder Art von Ablenkung, die die endlose Eintönigkeit ihrer Tage durchbrechen konnte.
Und dann geschah wirklich etwas. Ein
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