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Der Triumph der Heilerin.indd

Titel: Der Triumph der Heilerin.indd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ist Eure Pflicht.
    Fast blind im verschwommenen Dunkel drehte sich Anne zu der Stimme um. Sie erkannte eine schwarze Silhouette vor schwarzem Hintergrund und eine blassgelbe Lichtspur, die sich kriechend ausbreitete und langsam einen Kopf, eine Schulter, einen Arm sichtbar werden ließ. Das Entsetzen kroch aus der Dunkelheit auf sie zu wie ein lebendiges Ungeheuer. Anne wusste, wenn die Lichtspur heller wurde, sich schneller verbreitete, dann würde sie das Gesicht des Mannes erkennen, die klaffende Wunde in seinem Kopf.
    »Was hatte der König Euch aufgetragen?«
    Euch um Hilfe zu bitten.
    »Ich habe gesagt, ich werde alles tun, was ich kann.«
    Das ist nicht genug. Ihr müsst bereit sein, ohne Hoffnung zu helfen, ohne an die Kosten zu denken oder Dank zu erwarten. Ihr müsst sehen, wo er nicht sehen kann, hören, wo er nicht hören kann, sprechen, wo er nur Schweigen und Verrat begegnet.
    »Aber es war richtig, mich von ihm abzuwenden. Das war von höherem Wert.«
    Ihr müsst Euch aufs Neue von ihm abwenden. Ihr kennt nicht die Schrittfolge noch das Tempo des Tanzes, und doch seid Ihr Teil davon. Ihr müsst meinen Platz einnehmen.
    Kälte packte sie, wanderte von den Füßen bis hinauf zu ihrem Herzen, während das Licht immer heller wurde. Der Diener Thors, bekleidet mit einem roten Kettenpanzer, glühte so hell und heiß, dass die Eisenstücke, die er in seinen Händen hielt, zu schmelzen begannen. Und sie dachte: Welch eine Verschwendung, dieses Eisen könnte doch umgeschmiedet werden. Vielleicht in ein Schwert?
    »Bin ich aus Stein, dass ich dieser Bitte widerstehen könnte?«
    Die Antwort war ohne Worte, sie verstand, fürchtete sich aber, überhaupt daran zu denken.
    Ihr müsst alles annehmen. Erdulden.
    Die Kälte erreichte ihr Herz, und mit letzter Kraft schrie Anne. Doch kein Ton zerriss die Stille. Sie lag auf dem gefrorenen Erdboden des Eichenhains, der pelzgefütterte Mantel hüllte sie wieder ein, ihre Augen waren fest geschlossen.
    Deborah massierte ihre Hände, umarmte sie, schüttelte sie und rief: »Kind! Höre mich!«
    Anne ahnte die Worte, doch weder hörte noch sah sie etwas. Sie empfand nur Schmerz. Und Angst.
    »Anne!«
    Deborahs Stimme dröhnte in ihrem Ohr wie der Knall einer Bombarde. Die junge Frau fuhr erschreckt auf, ihr war übel. Erbrochenes ergoss sich auf das Laub am Boden. Sie würgte so heftig und laut, dass die Vögel in den Zweigen erwachten und mit empörtem Kreischen in die heraufziehende Dämmerung flogen.
    Weinend hielt Deborah Annes zitternden Körper, die bittere Galle erbrach.
    »Genug! Das ist genug. Du bist beinahe gestorben!«
    »Aber nur beinahe.« Erschöpft schüttelte Anne den Kopf. »Ich muss zum König.« Es war geschehen, was sie beide so sehr gefürchtet hatten.
    »Kannst du aufstehen?«
    Anne richtete sich auf und tätschelte abwesend die Hand ihrer Ziehmutter. Arme Deborah. Sie hatte ihr ganzes Leben lang solche Rituale abgehalten, und doch hatte sie Angst vor den Folgen, die ihr Wissen für die Menschen haben könnte. Anne zog den Mantel enger um sich und wandte sich zitternd gen Osten, der aufgehenden Sonne zu.
    »Wir müssen gehen, sonst ist das Haus wach, bevor wir zurück sind.«
    Die beiden Frauen schleppten den Mittelstein in sein Versteck in einem hohlen Baum zurück, dann bedeckten sie den Quarzkreis mit Laub und trockenem Ginster. Anne sah Deborah an. »Ich werde der Bitte der Herzogin nachkommen. Ich werde ihre Botschaft überbringen und einen Weg finden, wie ich den König zu Herzog Karl führen kann. Ich kann dem Schicksal nicht ausweichen.«
    Manchmal, wenn man schließlich genau das tut, wovor man Angst hat, erscheint es plötzlich nicht mehr so schlimm. Deborah hörte sich selbst sprechen - sie klang ruhig, und sie war auch ruhig. »Und dann?«
    »Ich weiß nicht.«
    War es ein neuer Anfang oder ein Ende? Anne wusste es nicht. War ihre Unwissenheit Segen oder Fluch?
    Kapitel 10
    »Mutter? Mutter!«
    Jacquetta schreckte aus dem Schlaf auf und griff nach der brennenden Kerze neben ihrem Bett. »Ich komme, Tochter, ich komme.«
    Schon seit vielen Jahren war sie nicht mehr nachts von einer verängstigten Stimme aufgeweckt worden, und nun, in der ungewohnten Umgebung, stieß sich die Herzogin einen nackten großen Zeh an einer Truhe an. Vor Schmerz zog sie zischend die Luft durch die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen ein und wurde nun vollends wach. Sie warf sich den Mantel über und suchte tastend nach dem Türriegel zum Zimmer ihrer

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