Der Triumph der Heilerin.indd
hätte er sie hochgehoben, sie teilhaben lassen an seiner Freude, an der Zukunft, die sich nun für ihn abzeichnete.
Ein leises Beben kroch Anne über den Rücken bis unter die Haare. Dies war also der Wendepunkt, an dem alles sich ändern würde. Auch ihr Leben - wieder einmal. Wegen dieses Mannes. Wollte sie das?
»Lady Anne, Ihr solltet wieder zu Bett gehen. Es tut uns leid, dass wir Euch geweckt haben.« William Hastings' Stimme kam aus dem Dunkel. Der Großkämmerer seiner Majestät entließ sie mit höflichen Worten: Dies ist die Welt der Männer, Lady, schien er zu sagen, Ihr habt hier nichts zu sagen.
Anne reckte das Kinn vor und suchte Hastings' Blick. »Ich bin dankbar für Eure Fürsorge, Sir, aber ich bin jetzt wach und begierig darauf, mehr zu erfahren. Dies ist für uns alle ein glücklicher Tag.«
Nehmt Euch in Acht, wollte Anne dem Kämmerer damit sagen. Der König braucht mich, ich bin wichtig für ihn, das solltet Ihr begreifen. Anne erhob sich und knickste vor dem Mann, der eben noch ihr Lager geteilt hatte. »Ich freue mich für Euch, Majestät. Das Warten ist vorbei. Endlich.«
Edward verneigte sich vor ihr und bedeutete ihr, sich wieder zu setzen. Das war eine besondere Ehre, da die Männer, die sich in ihrer kleinen Küche drängten, alle standen. »Wir haben noch einen langen Weg vor uns, Lady Anne, aber ein Anfang ist gemacht, das ist sicher.«
»Habt Ihr schon einen Plan, Majestät?«
Eine peinliche Stille entstand. Anne musterte ein Gesicht nach dem anderen. Niemand sah sie an. Und plötzlich verstand sie. Die Männer wollten in ihrer Gegenwart nicht sprechen, sie an ihren Diskussionen nicht teilhaben lassen, nicht einmal Edward. Anne war tief erschüttert. Sie fühlte sich verletzt und wurde wütend. Vertraute er ihr etwa nicht? Das war doch nicht möglich!
»Lady Anne, wir müssen vieles abwägen, und es ist sehr spät, oder besser gesagt, sehr früh. Wir sind sehr dankbar für alles, was Ihr uns gegeben habt, für die wertvolle und unermüdliche Hilfe, die Ihr unserem Haus gewährt habt.« Anne saß stumm da und starrte in die strahlenden Augen des Königs. Er benutzte das königliche »Wir«, er sprach zu ihr, nicht mit ihr. »Der Mut, den Ihr bewiesen, wird uns immer teuer sein. Und er wird belohnt werden.«
Anne zwang sich, nicht zu weinen. Sie war anscheinend gut genug, seine Geliebte zu sein, aber nicht gut genug, seine Vertraute und Freundin zu sein.
»Belohnt?« Anne erhob sich und stellte sich direkt vor Edward, kaum eine Armeslänge von ihm entfernt. Sie unterbrach den König, denn ihre Wut war größer als ihre Gekränkt-heit. Vor Überraschung verstummte er. »Ich möchte nichts von Euch, Sire. Das größte Geschenk, das Ihr mir macht, ist
Eure Anwesenheit in meinem Haus. Ich brauche oder begehre nicht mehr.«
Hoch erhobenen Kopfes wandte Anne sich nun an Hastings. »Ihr hattet recht, Lord Hastings. Es scheint, ich bin doch müder, als ich dachte.« Anne gelang es, die Fassung zu wahren, sie lächelte sogar, doch der Kämmerer wich ihrem Blick aus.
Sie drehte sich zum König um, neigte den Kopf und machte einen tiefen Knicks. »Euer Majestät.« Edward war bleich, er starrte sie an. »Ich wäre dankbar, wenn mir gestattet würde, mich zurückziehen zu dürfen.« Anne sprach in einem gleichgültig-leichten Ton und sah dabei starr auf den zweiten Perlenknopf am Wams des Königs. Dieser schluckte heftig.
»Selbstverständlich, Lady Anne. Verzeiht, dass Eure Ruhe gestört wurde.« Es fiel ihr schwer, die Worte zurückzuhalten, die ihr auf der Zunge lagen. Sie atmete tief ein, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Aber ein Blick von ihr, und der König wusste Bescheid.
Es war niemals Ruhe, was ich von dir gewollt habe. Ich dachte, du liebst mich und vertraust mir. Sein Herz hörte ihre Worte, und er wusste, dass Anne das wusste, als sie aus ihrer Küche ging und die Männer schweigend zurückließ.
Er, Edward Plantagenet, hatte großen Schaden angerichtet. Aber er musste an sein Königreich denken und nicht an sein persönliches Glück. Er tat Recht daran, die Besprechung ausschließlich unter seinen Männern abzuhalten. Doch was hatte er in diesem Augenblick verloren?
Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Es machte ihm Angst.
Kapitel 36
Bruder Agonistes war von der Reise völlig entkräftet. Auf Louis' Befehl war ihm für einen Teil des Wegs von Paris eine Sänfte zur Verfügung gestellt worden. Es war eine holperige Reise gewesen, seine Gelenke, und erst
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