Der Triumph der Heilerin.indd
wachsendem Schrecken zu.
»Hört mich an!«, schrie der Mönch. »Nehmt meine Worte auf! Ihr alle seid verdammt, und diese Endzeit ist der Beweis dafür. Hört auch die kostbaren Worte des göttlichen Johannes. Gott kommt, für die Schlacht gerüstet, und diese mächtige Stadt wird geschlagen - geschlagen! - werden, denn ihr, ihr alle hier in diesem großen Saal seid gleichermaßen besudelt von Sünde, von Lust und Stolz. Allein die Reue, hier und heute am Feiertag der Geburt unseres Heilands, wird euch - ja, Euch, hübsche Dame, und Euch, stattlicher Herr - aus den schrecklichen Fängen des Satans retten.«
Eine junge Zofe nahm sich die Worte so zu Herzen, dass sie in Tränen ausbrach. Der Mönch wetterte weiter.
»Aber eine ist unter euch, die ist schlimmer als ihr alle. Sie ist es, die in ihrer widerlichen Verderbtheit Krieg in eure Heimat gebracht hat. Ja! Und ich werde sie bezeichnen, ich werde diese Hexe bei ihrem Namen nennen, denn, oh, wie listig sie ist, oh, wie mächtig sie ist. Sie hat euch betört mit ihrem falschen Glanz, so dass ihr nicht ihre schuppigen Klauen, nicht ihre blutigen Fänge sehen könnt. Sie ist eine Hure des Teufels und hat schon viele Männer ins Verderben gestürzt. Viele wird sie noch zerstören, wenn ihr nicht auf meine Worte hört.«
Ein Nachbar schielte ängstlich zum andern, und das Murmeln im Saal steigerte sich zu einem aufgeregten Stimmengewirr, so dass der Mönch schreien musste, um gehört zu werden, und sein Speichel zischend in die Flammen der Fackeln spritzte.
»Reißt sie heraus aus ihrem ranzigen Bett der Sünde und der Niedertracht, auf dass ihr hier und heute in Erfüllung des göttlichen Willens gerettet werdet! Ehebrecherin, Hure von Königen, Kelch des Bösen, aus dem zu trinken heißt, das Höllenfeuer zu trinken und es für süßen Wein zu halten ...«
Die Herzogin hatte genug. In den vergangenen Wochen war die Angst in Brügge umgegangen, denn die Nachrichten von Krieg und Zerstörung machten vor der Stadt nicht halt. In Zeiten wie diesen waren die Leute bereit, alles Mögliche zu glauben, und heute, bei diesem Festmahl, sprach der Mönch wie von einer realen Person, einer wirklichen Frau, die wie der Prophet Jona ihnen allen Unglück brachte.
Unwillkürlich richtete Margaret ihren Blick auf die Augen des Mönchs - er musterte den Saal wie ein Habicht auf Beutefang, offensichtlich suchte er jemanden. Und dann legte er eine theatralische Pause ein. Er lächelte und bleckte dabei seine verfaulten Zähne.
Er streckte seinen dürren Arm aus und zeigte in den Saal.
Sofort trat eine atemlose Stille ein.
Bruder Agonistes beugte sich mit brennenden Augen vor und fuhr fort zu sprechen, diesmal in einem schrillen Flüsterton. »Ich sehe dich, Weib. Ich kenne dich. Gott kennt dich. Ich aber bin sein Werkzeug, und die Tage deiner Macht sind gezählt. Sind gezählt!« Seine Worte endeten in einem Schrei.
Ein entsetztes Gemurmel erhob sich, und einer nach dem anderen im Saal drehte seinen Kopf in die Richtung, in die der Mönch wies. Sein knochiger Zeigefinger stach wie ein Dolch in die Luft. Alle, alle sollten es sehen.
»Dort! Dort sitzt sie in all ihrer unzüchtigen, abscheulichen Überheblichkeit. Hexe! Ehebrecherische Hure von Edward Plantagenet! Sukkubus! Anne de Bohun, Anne de Bohun. Anne de Bohun!«
Der Mönch heftete seine Augen auf Anne, die sich von ihrem Platz erhoben hatte und sich ihm zuwandte. Und der ganze Saal sah, dass sie ein rotes Samtkleid trug.
»Nein! Das ist Unsinn.« Margaret, Herzogin von Burgund, stand auf und verteidigte ihre Freundin mit klarer Stimme.
Alle im Saal hielten den Atem an. Es war völlig still.
Auch der Herzog erhob sich mit finsterem Blick und machte ein Zeichen. Der Mönch sollte entfernt werden.
Bruder Agonistes lächelte, als sich die Wachen ihm mit aufgepflanzten Speeren näherten. Ruhig sah er von seinem erhöhten Platz herab, machte mit zwei weit ausholenden Gesten das Kreuzeszeichen und ließ sich widerstandslos von den Dienern des Herzogs abführen. Sein Werk war vollbracht.
Kapitel 38
Nach der Weihnachtsfeier kochte die Gerüchteküche in Brügge fast über. War Anne de Bohun wirklich ein Jona, der den Krieg herbeigerufen hat? War sie an allem schuld? War sie eine Hexe? Die Abwegigkeit dieser Anschuldigung - so bizarr und unerwartet - ließ sie beinahe wieder stichhaltig erscheinen und war schwer zu widerlegen. Der Klatsch gewann an Einfluss.
Man musste nur einmal die Fakten betrachten, die bekannten
Weitere Kostenlose Bücher