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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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jetzt einen eierschalenfarbenen Anzug und eine schmale, schwarze Seidenkrawatte. Sie aßen klare Brühe, Steak, grünen Salat und Brot. Es gab zwei Flaschen Rotwein. Sie saßen an einem Ende des Eßtisches, dicht beisammen, Caroline und Colin auf der einen Seite, Robert und Mary auf der anderen. Roberts Fragen beantwortend, erzählte Mary von ihren Kindern. Ihre zehnjährige Tochter war endlich in das Rugby-Team der Schule gewählt worden, und bei ihren ersten beiden Spielen hatten die Jungens sie so hart attackiert, daß sie eine Woche das Bett hatte hüten müssen. Für das nächste Spiel schnitt sie sich dann die Haare ab, um der Verfolgung zu entgehen, und hatte sogar ein Tor gemacht. Ihr zweieinhalb Jahre jüngerer Sohn konnte in weniger als neunzig Sekunden um die Aschenbahn laufen. Als sie das alles zu Ende berichtet hatte, nickte Robert sichtlich gelangweilt vor sich hin und widmete sich wieder dem Essen.
    Mitten während der Mahlzeit entstand ein längeres Schweigen, das nur von den Geräuschen der Bestecke auf den Tellern unterbrochen wurde. Dann stellte Caroline eine nervöse, komplizierte Frage über die Schule der Kinder, was Mary dazu nötigte, ausführlich über ein kürzlich erlassenes Gesetz und den Zusammenbruch einer Reformbewegung zu sprechen. Als sie Colin um Bestätigung bat, antwortete er so kurz wie möglich; und als Robert sich über den Tisch beugte, Colins Arm berührte und auf sein fast leeres Glas deutete, sah er über Carolines Kopf weg zu einem Bücherregal, auf dem sich Zeitungen und Illustrierte stapelten. Mary brach plötzlich ab und entschuldigte sich für ihr vieles Gerede, doch in ihrer Stimme lag Gereiztheit. Robert lächelte ihr zu und faßte ihre Hand. Gleichzeitig schickte er Caroline in die Küche zum Kaffeekochen.
    Noch immer Marys Hand haltend, dehnte er sein Lächeln auf Colin aus, um ihn miteinzubeziehen. »Heute abend fängt ein neuer Geschäftsführer in meiner Bar an.« Er erhob sein Glas. »Auf meinen neuen Geschäftsführer.«
    »Auf Ihren neuen Geschäftsführer«, sagte Mary. »Was ist aus dem alten geworden?«
    Colin hatte sein Glas vom Tisch genommen, es aber nicht erhoben. Robert betrachtete ihn gespannt, und als Colin schließlich trank, sagte Robert, so als bringe er einem Einfaltspinsel gutes Benehmen bei: »Auf Roberts neuen Geschäftsführer.« Er füllte Colins Glas und wandte sich an Mary. »Der alte Geschäftsführer war alt, und jetzt hat er Schwierigkeiten mit der Polizei. Der neue Geschäftsführer ...«, Robert spitzte die Lippen und machte mit einem schnellen Seitenblick auf Colin aus Zeigefinger und Daumen einen strammen kleinen Kreis, »... der kann mit Schwierigkeiten umgehen. Er weiß, wann er handeln muß. Er läßt sich nicht von den Leuten übervorteilen.« Colin hielt Roberts Starren einen Moment lang stand.
    »Klingt so, als wäre der Mann genau richtig für Sie«, sagte Mary höflich.
    Robert nickte und lächelte sie triumphierend an. » Goldrichtig «, sagte er und ließ ihre Hand los.
    Als Caroline mit dem Kaffee kam, fand sie Colin auf einer Chaiselongue ausgestreckt und Robert und Mary am Tisch, wo sie sich leise unterhielten. Sie brachte Colin seine Tasse und ließ sich neben ihm nieder, dabei zuckte sie zusammen und hielt sich an seinem Knie fest. Mit einem raschen Blick über die Schulter zu Robert begann sie Colin nach seiner Arbeit und seinem familiären Hintergrund zu fragen, doch die Weise, in der ihr Blick, während er sprach, über sein Gesicht wanderte, und ihre prompten neuen Fragen machten deutlich, daß sie ihm nicht ganz zuhörte. Sie schien gieriger auf die Tatsache des Gesprächs zu sein als auf dessen Inhalt; sie neigte den Kopf zu ihm, als bade sie ihr Gesicht im Fluß seiner Rede. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, erzählte Colin ungeniert zuerst von seiner schiefgegangenen Sängerlaufbahn, dann von seinem ersten Job beim Theater, dann von seiner Familie. »Dann starb mein Vater«, schloß er, »und meine Mutter verheiratete sich wieder.«
    Caroline formulierte eine weitere Frage, doch diesmal zögernd. Hinter ihr am Tisch gähnte Mary und erhob sich. »Kommen Sie...« Caroline brach ab und begann wieder. »Sie fahren vermutlich bald nach Haus?«
    »Nächste Woche.«
    »Kommen Sie wieder.« Sie berührte ihn am Arm. •Versprechen Sie mir, daß Sie wiederkommen.«
    Colin war höflich und unbestimmt. »Ja natürlich.«
    Doch Caroline war beharrlich: »Nein, ich meine das wirklich so, es ist sehr wichtig.« Mary kam

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