Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
Erneutes Schweigen: Colin fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, und Robert starrte gebannt auf die Bürsten, Pfeifen und Rasiermesser.
    Als sie schließlich weitergingen, sagte Colin leichthin: »Ihr Vater ist sehr wichtig für Sie.« Sie langten wieder beim Eßtisch an, bei der Champagnerflasche, die Robert in ihre Gläser leerte. Dann bugsierte er Colin in einen der Lederarmsessel, blieb selbst aber so stehen, daß Colin unangenehm ins Licht des Kronleuchters blinzeln mußte, um Roberts Gesicht zu sehen.
    Robert schlug den Ton von jemand an, der einem Kind das Offensichtliche erklärt. »Mein Vater und sein Vater hatten ein klares Selbstverständnis. Sie waren Männer, und sie waren stolz auf ihr Geschlecht. Auch von den Frauen wurden sie verstanden.« Robert leerte sein Glas und setzte hinzu: »Es gab kein Durcheinander.«
    »Die Frauen taten, was man ihnen sagte«, meinte Colin und zwinkerte ins Licht.
    Robert machte eine kleine Handbewegung zu Colin. »Jetzt zweifeln die Männer an sich selbst, sie hassen sich selbst, sogar noch mehr, als sie sich gegenseitig hassen. Die Frauen behandeln die Männer wie Kinder, weil sie sie nicht mehr ernstnehmen können.« Robert setzte sich auf die Sessellehne und legte Colin die Hand auf die Schulter. Seine Stimme senkte sich. »Aber sie lieben Männer. Egal was immer sie angeblich zu glauben behaupten, die Frauen lieben Aggression und Stärke und Macht an den Männern. Das liegt tief in ihrem Innern. Denken Sie nur an all die Frauen, die ein erfolgreicher Mann an sich zieht. Wäre es nicht so, wie ich sage, dann würden die Frauen bei jedem Krieg protestieren. Statt dessen schicken sie ihre Männer gern in den Kampf. Die Pazifisten, die Verweigerer, sind meistens Männer. Und obwohl sie sich dafür hassen, die Frauen sehnen sich nach der Herrschaft der Männer. Das liegt tief in ihrem Innern. Sie belügen sich selbst. Sie reden von Freiheit und träumen von Knechtschaft.« Robert massierte beim Reden sanft Colins Schulter, Colin schlürfte seinen Champagner und starrte vor sich hin. Roberts Stimme hatte jetzt etwas Vortragendes, wie wenn ein Kind das Einmaleins hersagt. »Die Welt formt das Denken der Menschen. Die Männer haben die Welt geformt. Also wird das Denken der Frauen von den Männern geformt. Von frühester Kindheit an ist die Welt, die sie sehen, von Männern gemacht. Jetzt belügen sich die Frauen, und überall herrscht Durcheinander und Unglück. Zur Zeit meines Großvaters war es nicht so. Diese wenigen Dinge von ihm erinnern mich daran.«
    Colin räusperte sich. »Zur Zeit Ihres Großvaters gab es die Suffragetten. Und ich begreife nicht, was Sie beunruhigt. Die Männer regieren die Welt noch immer.«
    Robert lachte nachsichtig. »Aber schlecht. Sie glauben nicht an sich selbst als Männer.«
    Der Geruch von Knoblauch und gebratenem Fleisch erfüllte den Raum. Colins Bauch gab ein anhaltendes und fernes Geräusch von sich, wie eine Stimme am Telefon. Er schob sich langsam vorwärts, rutschte unter Roberts Hand weg. »Also«, sagte er, als er aufstand, »dies ist ein der guten, alten Zeit gewidmetes Museum.« Seine Stimme klang umgänglich, doch forciert.
    Auch Robert erhob sich. Die geometrischen Falten seines Gesichts hatten sich vertieft, und sein Lächeln war glasig, starr. Colin hatte sich kurz umgedreht, um sein leeres Glas auf der Sessellehne abzustellen, und als er sich aufrichtete, hieb ihm Robert mit der Faust in den Magen, ein lockerer, leichter Schlag, der, hätte er nicht sofort alle Luft aus Colins Lungen gepreßt, spielerisch gewirkt haben könnte. Colin klappte wie ein Taschenmesser zusammen, krümmte sich auf dem Boden vor Roberts Füßen und gab kehlige Lachgeräusche von sich, während er nach Atem rang. Robert brachte die leeren Gläser zum Tisch. Als er zurückkam, half er Colin auf die Beine und veranstaltete mehrere Rumpfbeugen mit ihm. Schließlich riß Colin sich los und lief tief atmend durch den Raum. Dann zog er ein Taschentuch hervor, tupfte sich die Augen und starrte verschwommen über die Möbel hinweg auf Robert, der sich eine Zigarette anzündete und zur Küchentür ging. Ehe er dort war, drehte er sich um und zwinkerte Colin zu.
    Colin saß in einer Ecke des Raumes und verfolgte, wie Mary Caroline den Tisch decken half. Mary warf ihm von Zeit zu Zeit einen besorgten Blick zu. Einmal durchquerte sie den Raum und drückte seine Hand. Robert erschien erst, als der erste Gang auf dem Tisch stand. Er hatte sich umgezogen und trug

Weitere Kostenlose Bücher