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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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sagte, daß sein Großvater und Vater dort begraben lägen, Seite an Seite. Dann erhob Mary sich mit dem Hinweis auf ihr Baumwollnachthemd und sagte, sie glaube, sie sollte sich jetzt wohl besser etwas anziehen. Er geleitete sie durch die Tür, führte sie an den großen Eßtisch und bestand darauf, daß sie zuerst ein Glas Champagner mit ihm trank. Vier Kelchgläser auf hohen, rosagetönten Stielen umstanden auf einem Silbertablett die Champagnerflasche. Genau in diesem Moment erschien Colin durch die Schlafzimmertür am anderen Ende der Galerie und kam auf sie zu. Sie standen an der Tischecke und verfolgten sein Näherkommen.
    Colin war wie neugeboren. Er hatte die Haare gewaschen und sich rasiert. Seine Kleider waren gereinigt und gebügelt. Seinem makellos weißen Hemd war besondere Pflege zuteil geworden, und es saß wie nie zuvor. Seine schwarzen Jeans klebten an seinen Schenkeln wie ein Trikot. Er kam langsam auf sie zu, verlegen lächelnd, sich ihrer Aufmerksamkeit bewußt. Seine Locken waren dunkel und glänzten unter den Kronleuchtern.
    »Gut sehen Sie aus«, sagte Robert, als Colin noch einige Schritte entfernt war und setzte freimütig hinzu: »Wie ein Engel.«
    Mary grinste. Aus der Küche kam Tellerklappern. Sie wiederholte sanft Roberts Satz, betonte jedes einzelne Wort. »Gut siehst du aus«, und nahm seine Hand. Colin lachte.
    Robert ließ den Korken kommen, und als der weiße Schaum aus dem engen Flaschenhals schoß, drehte er den Kopf zur Seite und rief scharf Carolines Namen. Sie erschien sofort in einer der weißen Türen und nahm ihren Platz an Roberts Seite ein, den Gästen gegenüber. Als sie die Gläser hoben, sagte sie ruhig: »Auf Colin und Mary«, leerte ihr Glas mit raschen Schlucken und kehrte in die Küche zurück.
    Mary entschuldigte sich, und sowie sich die Türen an jedem Ende der Galerie geschlossen hatten, füllte Robert Colins Glas nach und steuerte ihn behutsam am Ellbogen um die Möbel herum, dorthin, wo sie die Länge der Galerie unbehindert abschreiten konnten. Ohne Colins Ellbogen ganz loszulassen, erklärte Robert verschiedene Besonderheiten der Sachen seines Vaters und Großvaters; ein berühmter Kunstschreiner hatte diesen unbezahlbaren Ecktisch mit den einzigartigen Intarsien - sie waren davor stehengeblieben, und Robert strich mit der Hand über die Platte - für seinen Großvater angefertigt, als Gegenleistung für eine Rechtshilfe, die den Ruf der Tochter des Handwerkers gerettet hatte; wie die düsteren Gemälde an der Wand - die zuerst sein Großvater gesammelt hatte – in Verbindung standen mit bestimmten berühmten Schulen, und wie sein Vater nachgewiesen hatte, daß gewisse Pinselstriche unleugbar die eines Meisters waren, der zweifellos dem Werk eines Gehilfen die Richtung wies. Dies - Robert hatte eine kleine graue Nachbildung einer berühmten Kathedrale hochgehoben - sei aus dem Blei einer einzigartigen Mine in der Schweiz gemacht. Colin mußte das Modell mit beiden Händen halten. Roberts Großvater, so erfuhr er, hatte mehrere Anteile an der Mine besessen, die zwar bald ausgebeutet war, deren Blei aber kein anderes auf der Welt gliche. Die Statuette, aus einem der letzten aus der Mine gegrabenen Stücke gemacht, war von seinem Vater in Auftrag gegeben worden. Sie gingen weiter, Roberts Hand berührte Colins Ellbogen, ohne ihn ganz zu fassen. Das sei Großvaters Siegel, dies sein Opernglas, das auch Vater benutzte und mit dem beide Männer Premieren oder denkwürdige Aufführungen verfolgt hatten - und hier listete Robert mehrere Opern, Sopranistinnen und Tenöre auf. Colin nickte und spornte ihn zumindest anfänglich noch mit interessierten Fragen an. Doch das war unnötig. Robert führte ihn zu einem kleinen, geschnitzten Mahagonibücherschrank. Er enthalte Vaters und Großvaters Lieblingsromane. Alle diese Bücher seien Erstausgaben und trügen den Stempel eines berühmten Buchhändlers. Ob Colin das Geschäft kenne? Colin sagte, er habe davon gehört. Robert hatte ihn zu der Kredenz an der Wand zwischen zwei Fenstern gebracht. Robert stellte sein Glas ab und ließ die Hände neben sich fallen. Er verharrte schweigend, den Kopf wie im Gebet gesenkt. Colin stand respektvoll einige Schritt entfernt und betrachtete die Gegenstände, die ihn an so ein Kindergeburtstagsspiel wie »Kofferpacken« erinnerten.
    Robert räusperte sich und sagte: »Diese Dinge benutzte mein Vater täglich.« Er machte eine Pause; Colin beobachtete ihn gespannt. »Kleinigkeiten.«

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