Der Trost von Fremden
Schmerzen, den Rücken gerade zu halten oder ihn zu entspannen.
Mary schüttelte den Kopf. »Ich habe für eine Frauentheatergruppe gearbeitet. Es lief drei Jahre lang ganz gut für uns, und jetzt sind wir auseinandergegangen. Zuviele Streitereien.«
Caroline zog die Stirn in Falten. »Frauentheater? ... Nur Schauspielerinnen?«
»Ein paar von uns wollten Männer reinbringen, zumindest ab und zu. Die anderen wollten es so lassen, wie es war, rein. Das hat uns schließlich auseinandergebracht.«
»Ein Stück bloß mit Frauen? Ich verstehe nicht, wie das klappen könnte. Ich meine, was könnte schon passieren ?«
Mary lachte. »Passieren?« wiederholte sie. »Passieren?«
Caroline wartete auf eine Erklärung. Mary senkte die Stimme und hielt beim Reden etwas die Hand vor den Mund, als wolle sie ein Lächeln vertuschen. »Nun, man könnte ein Stück über zwei Frauen machen, die sich eben erst begegnet sind und die auf einem Balkon sitzen und reden.«
Carolines Miene erhellte sich. »O ja. Aber sie warten wahrscheinlich auf einen Mann.« Sie sah flüchtig auf ihre Armbanduhr. »Wenn er kommt, werden sie aufhören zu reden und hineingehen. Es wird etwas passieren...« Caroline krümmte sich plötzlich vor Kichern; es wäre Gelächter gewesen, hätte sie es nicht so standhaft unterdrückt; sie stützte sich am Stuhl und versuchte, den Mund geschlossen zu halten. Mary nickte ernst und wandte den Blick ab. Mit einem jähen Atemzug war Caroline dann wieder still.
»Na jedenfalls«, sagte Mary, »bin ich arbeitslos.«
Caroline verdrehte ihre Wirbelsäule nach allen Seiten; jede Haltung schien ihr Schmerzen zu bereiten. Mary fragte, ob sie ihr ein Kissen holen dürfe, doch Caroline schüttelte schroff den Kopf und sagte: »Wenn ich lache, tut es weh.« Als Mary sich nach der Ursache der Beschwerden erkundigte, schüttelte Caroline den Kopf und machte die Augen zu.
Mary nahm ihre vorige Haltung wieder ein und betrachtete die Sterne und die Lichter der Fischerboote. Caroline atmete rasch und vernehmlich durch die Nase. Als sie dann einige Minuten später etwas leichter atmete, sagte Mary: »In gewissem Sinn haben sie natürlich recht. Die besten Rollen sind meist für Männer geschrieben, auf der Bühne und auch sonst. Wenn es nötig war, haben wir Männer gespielt. Am besten hat das beim Kabarett geklappt, wenn wir sie auf die Schippe genommen haben. Wir haben sogar einmal einen reinen Frauen- Hamlet gemacht. Es wurde ein ziemlicher Erfolg.«
»Hamlet?« Sie sagte es so, als sei ihr das Wort neu. Sie sah über die Schulter. »Das habe ich nie gelesen. Seit der Schule habe ich kein Theaterstück mehr gesehen.« Während sie sprach, ging hinter ihnen in der Galerie mehr Licht an, und der Balkon wurde plötzlich durch die Glastüren beleuchtet und von tiefen Schattenlinien zerteilt. »Kommt da nicht dieser Geist vor?« Mary nickte. Sie lauschte Schritten, die die ganze Galerie entlanggekommen waren und die jetzt abrupt abbrachen. Sie drehte sich nicht um, um hinzusehen. Caroline schaute sie an. »Und jemand, der in ein Nonnenkloster gesperrt wird?«
Mary schüttelte den Kopf. Die Schritte gingen weiter und blieben sofort stehen. Ein Stuhl scharrte, und man hörte eine Reihe metallischer Geräusche, so wie sie Besteck verursacht. »Es kommt ein Geist darin vor«, sagte sie vage. »Und ein Nonnenkloster, aber das sieht man nie.«
Caroline mühte sich aus ihrem Stuhl. Sie war gerade auf die Beine gekommen, da trat Robert adrett vor sie hin und machte einen kleinen Diener. Caroline nahm das Tablett auf und schob sich an ihm vorbei. Es fand keine Begrüßung zwischen ihnen statt, und Robert machte ihr nicht Platz. Er lächelte Mary an, und sie lauschten beide den unregelmäßigen Schritten, die in der Galerie verklangen. Eine Tür öffnete und schloß sich, und alles war still.
Robert trug die Kleidung, in der sie ihn letzte Nacht gesehen hatten, und auch das aufdringliche Aftershave war das gleiche. Ein Schattenwurf ließ ihn noch gedrungener wirken. Er nahm die Hände hinter den Rücken und erkundigte sich bei Mary, indem er ein paar Schritte auf sie zu machte, ob sie und Colin gut geschlafen hätten. Es folgte ein Austausch von Nettigkeiten: Mary bewunderte die Wohnung und den Blick vom Balkon; Robert erklärte, das ganze Haus habe früher einmal seinem Großvater gehört und nach der Erbschaft habe er es in fünf Luxuswohnungen aufgeteilt und lebe nun von den Mieteinkünften. Er zeigte auf die Friedhofsinsel und
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