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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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mit verschränkten Armen da und starrte auf die Reihe unbekannter Namen und unverständlicher Titel, als sei er um eine Wahl verlegen. Die Trinkenden an der Bar musterten ihn jetzt mit unverhohlener Neugier. Er warf eine Münze in den Automaten. Die Anordnung beleuchteter Zeichen veränderte sich drastisch, und ein rotes Lichtquadrat begann zu pulsieren, ihn zur Wahl zu drängen. Hinter ihm an der Bar machte jemand laut eine kurze Bemerkung, die leicht der Titel eines Liedes hätte sein können. Colin suchte die Reihen der maschinegeschriebenen Schildchen durch, überflog den Titel einer Platte, zu dem er sofort zurückkehrte und der ihm als einziger von den Namen etwas sagte - »Ha ha ha« und bereits als er die Zahlen einhämmerte und der große Apparat unter seinen Fingern vibrierte, wußte er, es war das männliche, sentimentale Lied, das sie letztesmal gehört hatten. Als Colin zu seinem Stuhl zurückging, hob Roberts Geschäftsführer den Kopf und lächelte. Die Gäste riefen nach größerer Lautstärke, und als der erste ohrenbetäubende Refrain durch den Raum donnerte, bestellte ein Mann, der im Takt mit dem strengen, beinahe militärischen Rhythmus auf die Theke hieb, eine neue Runde Getränke.
    Robert kam, setzte sich neben Colin und studierte seine Dokumente, während die Platte ihren Höhepunkt erreichte. Als sich die Maschine abschaltete, lächelte er breit und deutete auf die leere Flasche Mineralwasser. Colin schüttelte den Kopf. Robert offerierte eine Zigarette, runzelte über Colins entschiedene Ablehnung die Stirn, zündete sich selber eine an und sagte: »Haben Sie verstanden, was ich den Leuten auf dem Weg hierher erzählt habe?« Colin schüttelte den Kopf. »Nicht ein Wort?«
    »Nein.«
    Wieder lächelte Robert aus schlichtem Vergnügen. »Jedem, dem wir begegneten, habe ich erzählt, daß Sie mein Liebhaber sind, daß Caroline wahnsinnig eifersüchtig ist und daß wir hierher gehen, um zu trinken und sie zu vergessen.«
    Colin stopfte sich das Hemd in die Jeans. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und schaute blinzelnd auf. »Warum?«
    Robert lachte und ahmte akkurat Colins geflissentliches Zögern nach. »Warum? Warum?« Dann beugte er sich vor und berührte Colins Unterarm. »Wir wußten, Sie würden zurückkommen. Wir haben gewartet, vorbereitet. Wir dachten, Sic würden früher kommen.«
    »Vorbereitet?« sagte Colin und zog seinen Arm weg. Robert faltete die Papiere in seine Tasche und musterte ihn mit besitzerhafter Zärtlichkeit.
    Colin wollte etwas sagen, zögerte und sagte dann rasch: »Warum haben Sie dieses Bild von mir gemacht?«
    Robert lächelte erneut übers ganze Gesicht. Er lehnte sich zurück, schlang einen Arm um die Rücklehne seines Stuhls und strahlte vor Selbstzufriedenheit. »Ich dachte, ich hätte ihr nicht genug Zeit gelassen. Mary ist sehr fix.«
    »Was soll das?« beharrte Colin, doch ein Neuankömmling in der Bar war an die Musikbox getreten, und »Ha ha ha« begann aufs neue und mit noch größerer Lautstärke, Colin verschränkte die Arme, und Robert erhob sich, um eine Gruppe von Freunden zu begrüßen, die an ihrem Tisch vorbeikamen.
    Auf dem Heimweg, der diesmal durch die weniger belebte, abfallende Straße ging, die sie für einen Teil der Strecke dem Meer entlang führte, bestürmte Colin Robert wieder wegen des Fotos und was er mit Vorbereitungen gemeint hätte, aber Robert war voll heiterer Ausflüchte und wies zur Antwort auf den Frisör hin, zu dem sein Großvater, sein Vater und er selber gingen, erklärte mit einer Eindringlichkeit und Langatmigkeit, die parodistisch gewesen sein könnte, wie die Umweltverschmutzung der Stadt den Lebensunterhalt der Fischer beeinträchtige und sie zwinge, als Ober in Stellung zu gehen. Gelinde erzürnt blieb Colin plötzlich stehen, doch Robert, der zwar seinen energischen Schritt verlangsamte und sich überrascht umwandte, schlenderte weiter, so als sei es eine Frage des Stolzes für ihn, nicht ebenfalls stehenzubleiben.
    Colin war dicht bei der Stelle, wo er mit Mary auf Packkisten gesessen und die frühe Morgensonne betrachtet hatte. Jetzt, am Spätnachmittag, hatte der östliche Himmel, obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stand, sein kräftiges Purpur verloren, verblaßte stufenweise von Kinderzimmerblau zur Farbe verdünnter Milch und bewirkte so über der präzisen Horizontlinie die zartesten Übergänge zum blassen Grau der See. Die Friedhofsinsel, ihre niedrige Steinmauer, die dicht gedrängten

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