Der Trotzkopf
sich nieder und schlief ein. Träumend sah sie sich im Brautkranz und weißen Atlaskleide.
* * *
Die acht Wochen, oder wie Nellie sagte: »vierundfünfzig Tage«, waren vorübergegangen.
Der erste September brach an. Nellie hatte die ganze Nacht nicht schlafen können vor Herzeleid, der Abschied von der geliebten Freundin raubte ihr die Ruhe. Auch Ilse war es gleich ergangen und es war rührend, wie beide Mädchen bemüht waren, ihre Schlaflosigkeit und ihre Thränen sich gegenseitig zu verbergen.
Als der Morgen anbrach, hielt Nellie es nicht mehr aus. Sie stand auf, warf ihr Morgenkleid über und schlich an Ilses Bett.
»Wachst du?« fragte sie, als dieselbe sie mit offenen Augen ansah, »das ist schön, nun können wir noch eine ganze Stunde plaudern, es hat eben Fünf geschlagen.«
Sie setzte sich auf Ilses Bettrand und ergriff deren beide Hände, und als sie aufblickte und Thränen in Ilses Augen schimmern sah, da war es aus mit ihrer künstlichen Fassung. Sie beugte sich zu der Freundin nieder und indem sich beide fest umschlungen hielten, vermischten sich ihre heißen Thränen.
»O, Ilse! Wie einsam wird es sein, wenn dein Bett leer ist! Oder wenn ein anderer Gesicht mir daraus ansieht, o, ich bin sehr, sehr traurig!«
Ilse hatte sich aufgerichtet und drückte die Weinende innig an sich. Zu sprechen vermochte sie nicht, es war ihr zu weh.
»Wir sehen uns bald wieder,« sprach sie endlich mit zitternder Stimme und versuchte Nellie zu trösten. »Du besuchst uns in Moosdorf; den ganzen Winter über wirst du bei uns bleiben.«
Nellie schüttelte ungläubig den Kopf. »Das wird nix, ich werde nicht Erlaubnis bekommen zu ein so lang’ Besuch. Meine Zeit ist Ostern vorbei, dann heißt es: fort aus der Pension! Ich muß ein’ Stell’ annehmen und Kinder Unterricht geben. Aber ich weiß noch nicht viel und muß sehr fleißig lernen, Fräulein Raimar sagt es alle Tage.«
»Aber die Michaelisferien darfst du gewiß bei uns zubringen. Meine Eltern werden selbst an Fräulein Raimar schreiben und sie dringend darum bitten, sie wird es ihnen nicht abschlagen,« entgegnete Ilse.
»Es geht nicht, ich muß lernen!«
Ilse sah die Freundin traurig und bedauernd an. »Wenn du wirklich eine Gouvernante werden mußt, Nellie, so versprich mir fest, daß du all’ deine Ferien bei uns in Moosdorf zubringen willst. Meine Heimat soll auch die deinige sein.«
Mit einem Handschlage wurde dies Versprechen besiegelt. »Du bist sehr gut, Ilse, ich werde nie wieder ein Mädchen lieben wie dir. Vergiß mir nie! Sieh dieser klein’ silbern’ Ring recht oft an und denk’ dabei immer an dein’ Nellie, die in Einsamkeit zurückgeblieben ist.«
»Nicht einsam,« tröstete Ilse, »sie haben dich alle so lieb im Institute.«
»Und wenn ich fort bin, aus der Auge, aus der Sinn, dann bin ich fremd für sie.«
»Nein, Nellie, du wirst Fräulein Raimar und Fräulein Güssow nie eine Fremde sein!« entgegnete Ilse mit vollster Ueberzeugung. »Sie haben dich furchtbar lieb!«
»O ja, ich weiß; aber sie sind nicht mehr in Jugend und werden mir nie verstehn, wie du. Sie haben vergessen, wie man ein dumm’ Streich macht! Denkst du noch an der Apfelbaum?«
Die Erinnerung an diese lustige Fahrt trocknete ihre Thränen und rief ein fröhliches Lächeln auf ihre Lippen. Jede geringe Kleinigkeit durchlebten sie in Gedanken noch einmal. Die Spukgeschichte. Miß Lead in ihrem wunderbaren Aufzuge. Die Stiefelspitze, die sie beinahe verriet, ach, und die Angst, die sie ausgestanden! – »Und es war doch schön!« rief Nellie aus, »ich wünsche, daß wir noch einmal alles machen könnten!«
»Wenn du nach Moosdorf kommst,« sagte Ilse, »dann wollen wir in die Bäume klettern nach Herzenslust! Du wirst es bald lernen! O, es wird dir bei uns gefallen! Wir haben ein großes, schönes Wohnhaus mit Türmchen und Söllern, fast wie ein Schloß. Du wirst dein Zimmer dicht neben mir haben, das ist doch reizend, nicht wahr? Ich fahre dich alle Tage mit meinen Ponies spazieren, und Hunde haben wir zum Entzücken!«
So plauderte Ilse von der Heimat und schilderte der Freundin lebhaft und feurig die dortigen Herrlichkeiten. Auf diese Weise kamen sie für den Augenblick über das Weh des Abschieds hinweg, die Aussicht auf ein nicht allzufernes Wiedersehen versüßte ihren herben Trennungsschmerz. –
Wenige Stunden später stand Ilse reisefertig vor Fräulein Raimar und sagte ihr Lebewohl. Die Vorsteherin
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