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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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Unbemerkt war sie aus einem Seitenweg hervorgetreten und stand nun wie aus der Erde gewachsen vor ihnen. 
    Ilse sprang auf und trat den andern Mädchen, die herbeigeeilt kamen, entgegen. Nellie trocknete verstohlen ihre Thränen und machte wieder ein heitres Gesicht. 
    »Wir haben euch überall gesucht,« sagte Orla, »was macht ihr denn hier?« 
    »Ich glaube wahrhaftig, ihr schwärmt im Mondenschein, Kinder,« lispelte Melanie, »ihr macht so furchtbar schmachtende Augen alle beide, habt ihr geweint?« 
    Grete mußte sich hiervon genau überzeugen, sie trat zu Nellie und sah sie neugierig prüfend an. »Du hast geweint, Nellie – und du auch Ilse –« behauptete sie entschieden. »Was habt ihr denn? Warum weint ihr?« 
    »Um nix!« entgegnete Nellie ärgerlich über die unzarte Grete. 
    »Um nichts weint man doch nicht,« fuhr dieselbe unbeirrt fort, »bitte, sagt es doch, warum ihr geweint habt.« 
    »Laß deine zudringlichen Fragen,« verwies sie Flora, »und wenn sie dir sagen würden: ›Der silberne Mond, die duftenden Rosen, der entzückende Sommerabend, so recht zur Liebe und Traurigkeit geschaffen, haben unsern Herzen Wehmut und Thränen entlockt,‹ – würdest du das verstehen? Niemals! Denn du hast keinen Sinn für die höhere Sphäre – du bist zu prosaisch!« Sie begleitete ihre Worte mit einem schwärmerischen Aufschlag ihrer wasserblauen Augen. 
    Floras hochtrabende Aeußerung stellte sofort die fröhlichste Stimmung her. Nellie vergaß ihr Herzeleid darüber und sagte lachend: »O Flora, was für ein zarter Seel’ du hast! Sei bedankt du hoher Dichterin, du hast uns verstanden!« 
    »Kinder!« unterbrach Orla die Sprechenden, »nun hört auf mit euren Albernheiten, ich habe euch eine höchst wichtige Mitteilung zu machen!« 
    Wichtige Mitteilung! Grete sperrte Mund und Nase auf und sah gespannt auf Orla, zu der sie sich ganz dicht herangedrängt hatte. 
    »Nicht hier!« fuhr diese fort, »folgt mir unter die Linde!« 
    »Unter die Linde?« fragte Annemie ängstlich. »Laß uns doch hier, es ist ja schon dunkel unter dem alten, großen Baum!« 
    »Ja, und es ist schon spät, wir müssen uns eilen,« fiel die ebenfalls furchtsame Flora ein. 
    »Mache dir keine Sorge darum, liebste Flora,« gab Orla zurück, »denn höre und staune: Weil heute mein Geburtstag ist, hat Fräulein Raimar auf dringendes Bitten die hohe Gnade gehabt, unsern Aufenthalt im Garten heute abend bis um zehn Uhr zu verlängern!« 
    »Himmlisch! Furchtbar reizend! Zu nett!« u. s. w. rief es durcheinander und Grete machte sogar einen kleinen, ungeschickten Sprung in die Luft. 
    »Also auf zur Linde!« kommandierte Orla und schlug den Weg dorthin ein. 
    Ohne Gegenrede folgten ihr alle, in wenigen Augenblicken waren sie dort. Orla stieg auf eine Bank, die dicht am Stamme lehnte, schlug die Arme untereinander und sah schweigend auf die Mädchen herab, die einen dichten Halbkreis um sie bildeten und mit höchster Spannung auf sie blickten. 
    »Meine lieben Freundinnen,« hub sie an, da raschelte es über ihnen in den Zweigen. Die Mädchen schraken zusammen. 
    »Was war das?« fragte Annemie, »Gott, wenn sich im Baume jemand versteckt hätte!« 
    »Oder wenn ein Gespenst wieder seinen Spuk triebe!« sprach Melanie mit bebenden Lippen. 
    »Wie unheimlich ist es hier!« fiel Grete ein, »ich fürchte mich!« 
    »So ein Gespenst mit großer Feuerauge und fliegender Haar,« meinte Nellie und stieß Ilse an, »o, es wäre furchtbar!« 
    Orla stand ruhig und unerschrocken da, sie kannte keine Furcht. »Schämt euch!« rief sie den Zagenden zu, »seid ihr erwachsene Mädchen? Kann euch eine harmlose Fledermaus in die Flucht treiben? Geht zurück, wenn ihr euch fürchtet, für Kinder passen meine Worte nicht! Wollt ihr vernünftig sein?« 
    »Ja, ja!« tönte es zurück, zwar etwas zaghaft, aber die Neugierde trug doch den Sieg über die Furcht davon. 
    »So hört mich an! Hier an dieser Stätte, unter dem Schutze unsrer geliebten Linde laßt uns einen Bund schließen, der uns in Freundschaft für das ganze Leben vereinen soll. Wie lange wird es dauern und wir verlassen die Pension, und das Schicksal zerstreut uns in alle Winde!« 
    »In alle Winde!« wiederholte Flora halblaut. 
    »Nun frage ich euch, soll uns dasselbe für immer trennen? Ich sage: nein! wir werden uns wiedersehen! Wir haben stets treu zusammengehalten, unsre Freundschaft darf nicht wie ein leerer Wahn verrauschen –« 
    »Wie ein leerer Wahn

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