Der Trotzkopf
dich für sehr einfältig halten,« erwiderte sie unbarmherzig, »wenn er nicht vielleicht deine Handlungsweise zudringlich nennt.«
»O nein, nein!« rief Nellie beinahe entsetzt, »er wird nicht so hart von sein Schüler denken!«
»So, weißt du das so bestimmt?« quälte Miß Lead sie weiter, »du bist kein Kind mehr, dem man allenfalls dergleichen Taktlosigkeiten vergiebt, ein erwachsenes Mädchen darf niemals blindlings seinem Gefühle folgen!«
»Ich will bitten, daß er mir die Blumen wiedergiebt,« sagte Nellie tief beschämt.
»Das darfst du nicht, wenn du dich nicht noch mehr bloßstellen willst. Du wirst schweigen und dich niemals wieder vergessen! Eine zukünftige Gouvernante muß jedes Wort, jeden Blick, und vor allem jede Handlung reiflich überlegen. Das merke dir!«
Traurig sah Nellie nach diesem harten Verweise zu Boden. Dahin war ihre fröhliche Laune, sie hatte keine Lust mehr an dem Feste. Eine heiße Thräne tropfte ihr aus dem Auge und fiel auf die Veilchen, die Urheber ihres Kummers. Sie brannten ihr förmlich in der Hand und am liebsten hätte sie dieselben weit von sich geschleudert. Still und einsilbig blieb sie den ganzen Abend, und sobald Doktor Althoff in ihre Nähe kam, wich sie ihm ängstlich aus. Es war ihr unmöglich, ihm in das Auge zu blicken. Miß Lead hatte ihre frohe Unbefangenheit zerstört.
Als die Freundinnen sich nach dem Feste zur Ruhe begaben, saß Nellie ganz gegen ihre Gewohnheit noch einige Zeit sinnend da. »Du bist so still,« fragte Ilse, »was hast du?«
»O nichts, nichts!« erwiderte Nellie schnell und erhob sich aus ihrer träumenden Stellung, »es ist gar nix!«
Zum ersten Male verschwieg sie der geliebten Freundin die Wahrheit, sie vermochte es nicht, über ihren Kummer zu reden, und doch – was war es, das trotz allen Kummers ihr Herz schneller klopfen ließ und wie ein Frühlingswehen durch ihre Seele zog?
* * *
Holunder und Maiblumen hatten ausgeblüht
und die Rosen öffneten ihre duftigen Kelche. Nellie und Ilse wandelten nach dem Abendessen durch den Garten, und als sie im Gebüsch die Nachtigall schlagen hörten, blieben sie stehen und lauschten.
»Wie süß!« rief Nellie, »komm, laß uns auf der Bank setzen und lauschen.«
Sie hielten sich beide umschlungen und sprachen kein Wort. Der herrliche, duftende Abend, der Mond, der silbern am Abendhimmel aufstieg, der schmelzende Gesang der Nachtigall weckten eine ahnungsvolle, nie gekannte Stimmung in ihren jungen Herzen.
»O Ilse,« unterbrach Nellie mit einem Seufzer die feierliche Stille, »wie bald gehst du fort und läßt mir allein zurück! Ich bin sehr traurig, wenn ich daran denke!«
Auch Ilse war wehmütig und der Gedanke, von Nellie scheiden zu müssen, machte ihr das Auge feucht. Aber sie unterdrückte mutig die weiche Stimmung und versuchte, die Freundin zu trösten. »Es ist noch lange hin, bis ich die Pension verlasse,« sagte sie, »du weißt ja, daß meine Eltern meinen Aufenthalt bis zum ersten September verlängerten. Noch acht Wochen sind wir beisammen, Nellie, das ist noch eine sehr lange Zeit, denk’ einmal, acht volle Wochen!«
Nellie schüttelte traurig den Kopf. »O nein, es ist nur sehr kurze Zeit,« erwiderte sie, »es sind auch nicht acht Wochen voll, du mußt ordentlich rechnen. Heute haben wir schon der siebente Juli, – macht bis zu der erste September vierundfünfzig Tage – fehlt also zwei volle Tag an der achte Woch –«
Trotz ihres Kummers mußte Ilse lachen. »Du liebe, süße Nellie,« rief sie und küßte diese herzlich auf den Mund, »du bist doch immer komisch, selbst wenn du traurig bist! Weißt du, wir wollen uns das Herz nicht heute schon schwer machen mit dem Gedanken an unsre Trennung, wir gehen ja nicht für immer auseinander! Du besuchst mich bald, – ja?«
Aber Nellie war einmal weich gestimmt heute abend und der Freundin Trost fand keinen Eingang in ihrem Herzen. Sie versuchte zwar die Thränen zu unterdrücken, aber sie brachen immer neu hervor. Ilse lehnte den Kopf an ihre Schulter und schwieg. In ihrem Innern kämpften der Schmerz und die Freude. Sie hätte so gern sich auf das Wiedersehen ihrer Lieben, besonders des kleinen Brüderchens, gefreut, sie vermochte es nicht ungetrübt, weil der Abschied von Nellie dazwischen stand. –
»Hier sind sie! Kommt, hierher! Sie sitzen beide unter dem Holunderbusch!«
Keine andre als Grete war es, die durch ihren lauten Ruf die Träumenden aufschreckte.
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