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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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Ihnen um das Herz ist. So ein Abschied von der Pension ist ein wichtiger Abschnitt, es thut weh, von den Freundinnen scheiden zu müssen, die man lieb gewonnen hat, – aber Kind, so gar trostlos müssen Sie das alles nicht ansehen. Die Trennung ist ja nicht für das ganze Leben, die Freundinnen werden Sie in Ihrer Heimat besuchen. Es ist wohl schön in Ihrer Heimat?« 
    Das war eine Frage zur rechten Zeit. Ilses Kinderaugen lachten noch unter Thränen die Fragerin an. Sie fing an, lebhaft zu erzählen, ihre Gedanken kehrten in das Elternhaus zurück, und zum erstenmale dachte sie seit längerer Zeit mit ungetrübter Sehnsucht an dasselbe. 
    »Wie werden Sie sich freuen, die Eltern wiederzusehen!« fuhr die Dame fort, die großes Wohlgefallen an dem jungen Mädchen fand. 
    »O sehr, sehr!« entgegnete Ilse, »und besonders freue ich mich auf den kleinen Bruder, den ich noch gar nicht kenne! Ich habe sein Bild bei mir, darf ich es Ihnen zeigen?« 
    Sie nahm eine Ledertasche von oben herab, öffnete dieselbe und nahm ein Album daraus hervor. 
    »Das ist er!« sagte sie und zeigte mit Stolz auf einen kleinen, dicken Buben, der im Hemdchen photographiert war. 
    »Ein schönes Kind!« bewunderte die Dame, »und ist das Ihre Mama, die den Kleinen auf dem Schoße hält?« 
    Ilse bejahte. »Hier ist mein Papa,« fuhr sie fort und holte sein Bild aus dem Saffiantäschchen. Was war natürlicher, als daß sie bei dieser Gelegenheit erzählte, daß ihr das Bild zum Erkennungszeichen dienen solle, wenn Gontraus sie empfangen würden. 
    »Gontrau?« fragte die alte Dame, »Landrat Gontrau? Das sind ja liebe Bekannte von mir. Mein Mann, Sanitätsrat Lange, ist seit langen Jahren Arzt in ihrem Hause! Wir wohnen in L., das ist die nächste Station von Lindenhof. Wie sich das wunderbar trifft! Nun stecken Sie das Bild Ihres Papas nur getrost ein, wir haben es nicht mehr nötig; jetzt werde ich Sie meinen Freunden zuführen! So viel Zeit habe ich bei meinem kurzen Aufenthalte!« 
    Ilse war sehr erfreut über diesen wunderbaren Zufall, und im Geplauder mit der liebenswürdigen, feingebildeten Frau Rat verging ihr die Zeit mit Windesschnelle. Sie war ganz erstaunt, als der Schaffner das Koupee öffnete und hineinrief: »Station M.! Sie müssen aussteigen, meine Damen!« 
    »Schon!« rief Ilse und griff nach ihren Sachen. 
    Frau Rat hatte sich auch erhoben und suchte ihr Handgepäck zusammen. Es geschah alles mit ängstlicher Hast, ihre Hände zitterten etwas in nervöser Aufregung. Eine Ledertasche, die sie von oben herabnahm, entfiel ihrer Hand. Das Schloß an derselben sprang auf und verschiedene kleine Gegenstände kollerten auf den Boden. 
    »O Gott!« rief sie erschrocken, »was habe ich da gemacht!« – Sie wollte sich bücken und ließ eine Schachtel dabei fallen. 
    »Bitte, lassen Sie mich alles besorgen!« beruhigte sie Ilse. Schnell hatte sie alles aufgesucht und wieder in die Tasche gethan. Das Portemonnaie der Frau Rat, das sich ebenfalls unter den herausgefallenen Dingen befand, steckte sie tief hinein in die Tasche, verschloß dieselbe vorsichtig und gab sie der geängsteten Dame in die Hand. 
    »So,« sagte sie, »nehmen Sie das an sich, für Ihre übrigen Sachen werde ich Sorge tragen.« 
    Sie legte sämtliches Handgepäck zusammen auf den Sitz, stieg dann hinaus, ließ sich dasselbe von der Dame zureichen, übergab es einem bereitstehenden Packträger und half endlich der Frau Rat vorsichtig die hohen Stufen hinabsteigen. 
    »Danke, danke, liebes Kind,« sagte diese. »Wie umsichtig und verständig Sie alles besorgen! Ich hätte das bei Ihrer Jugend kaum erwartet.« 
    Ilse wunderte sich selbst darüber, wer weiß aber, ob ihre Selbständigkeit sich so plötzlich entwickelt hätte, wenn die hilflose Art und Weise ihrer Begleiterin dieselbe nicht herausgefordert hätte. – Ganz stolz hob sie den Kopf bei diesem Lobe und wünschte: wenn Fräulein Güssow doch gleich dasselbe hören könnte! Sie hatte so große Besorgnisse gehabt, und jetzt war sie Beschützerin, anstatt daß sie beschützt wurde! – Es war wirklich ein recht erhebendes Gefühl für sie, leider nicht von langer Dauer! 
    Als sie mit Frau Rat langsam dem Stationsgebäude zuschritt, hörte sie laute Zurufe aus einem Koupee des noch haltenden Zuges. Ein flüchtiger Blick und sie hatte sofort die Studenten erkannt. Ganz ängstlich ergriff sie den Arm der Dame, denn in diesem Augenblick war all ihre frohe Sicherheit geschwunden und sie fühlte

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