Der Tschernobyl Virus
Sicht der Wirtschaft sehen. Das ist im Großen wie im Kleinen gleich. Natürlich wollen wir alle Energiesparlampen benutzen. Sie kosten mehr aber halten länger. Mit der Zeit rechnet sich also die Investition. Aber sagt doch mal einem Hartz IV Empfänger, er solle jetzt acht Euro statt fünfzig Cent für eine Glühbirne ausgeben, aber in ein paar Jahren hat sich das gerechnet. Der Typ braucht aber das Geld jetzt zum Essen. Aber ich schweife ab«, er schüttelte den Kopf, »Man muss einen Preis festlegen für die Umweltverschmutzung. Quasi, was kostet die Verschmutzung von Umwelt. Wenn sich die Einsparung von CO2 rechnet, wird die Wirtschaft gerne mitmachen. Jetzt denkt ihr euch natürlich, saubere Luft kann man nicht in Säcke packen, mit einem Preis versehen und dann auf dem Marktplatz verkaufen«, Marie nickte mit ihrem auf Kochs Oberschenkel liegenden Kopf, was weitere Gefühlsschube bei Koch auslöste, »tja, das denken viele. Es geht aber doch, natürlich nicht wörtlich, aber doch fast genauso. Du verkaufst nicht die saubere Luft zu, sondern das Recht auf Luftverschmutzung. Das läuft im Endeffekt auf dasselbe hinaus. Konkret kann man den Ausstoß an Schadstoffen aus den Schornsteinen kontrollieren und fordern, dass der Umweltsünder Emissionszertifikate besitzt, die von einer staatlichen Umweltbehörde ausgegeben werden und frei handelbar sind. Mit der Menge an Zertifikaten, die sie ausgibt, begrenzt die Behörde das Ausmaß der Luftverschmutzung. Doch sie legt nicht fest, wie das technisch bewerkstelligt werden soll und nach welchem Schlüssel die vorgegebenen Einsparziele unter den Unternehmen aufzuteilen sind. Diese Entscheidung ist vielmehr dem Markt überlassen. Es gibt zwei Gruppen von Firmen: Die einen Unternehmen, die nur über geringe Möglichkeiten verfügen, den Ausstoß durch Änderungen ihrer Produktionsprozesse zu reduzieren. Sie sind bereit, hohe Preise für die Zertifikate zu zahlen, weil sie ohne Verschmutzungsrechte ihren Betrieb einstellen oder erhebliche Einbußen in Kauf nehmen müssten. Die zweite Gruppe besteht aus Firmen, die ihren Ausstoß mit geringen Kosten verringern können. Sie ziehen es vor, keine Zertifikate zu halten und die Last der Umweltauflagen zu übernehmen. Natürlich wollen sie ihre Gewinne maximieren. Derzeit werden die Zertifikate nach Maßgabe der bisherigen Emissionen umsonst zugeteilt, doch in Zukunft sollen sie mehr und mehr verkauft werden. Das ist jedoch für das Verhalten der Firmen ziemlich irrelevant. Firmen der zweiten Gruppe kaufen keine Zertifikate, wenn ihnen keine zugeteilt wurden, und wenn sie die Zertifikate unentgeltlich erhalten, verkaufen sie sie, um die Erlöse zu kassieren. Firmen der ersten Gruppe tun das Gegenteil. Sie kaufen Zertifikate, wenn sie keine haben, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, und sie behalten die Zertifikate, wenn sie ihnen zugeteilt werden. Wenn die Zertifikate umsonst ausgeteilt werden, wandern sie von der zweiten zur ersten Gruppe, weil sich beide Gruppen besser stellen können, wenn sie sich auf einen Preis einigen können, der zwischen ihren jeweiligen Vermeidungskosten liegt. Der Handel der Zertifikate ermöglicht es, ein jedes Umweltziel zu geringeren Kosten für die beteiligten Firmen zu erreichen, als wenn man technische Auflagen erlassen oder die Einsparziele firmen- oder branchenspezifisch vorschreiben würde. Das ist ein gewaltiger Vorteil für die Umweltpolitik, denn sie kann sich viel ehrgeizigere Einsparziele setzen, als es ohne den Zertifikatehandel der Fall wäre.«
»Das ist alles schön und gut«, Koch verstand nicht wirklich den globalen Sinn darin, »aber wo liegt da der Nutzen konkret. Du sagtest ja, dass das, was wir nicht verbrauchen, anderswo billiger verbraucht werden kann.«
»Genial Marc«, Heip klatschte, »du hast schon das große Problem erfasst, »es müssten alle Staaten in das System erfasst werden. Und zwar wirklich alle. Vom kleinsten Beduinenstaat bis China und Amerika. Alle müssen zusammenarbeiten. Dafür braucht man eine Stelle, die das weltweit regelt und die über den Staaten steht. Ein ehrgeiziges Ziel, klingt fast unmöglich. Aber das ist die Herausforderung dieser und der nächsten Generation.«
So in die Unterhaltung vertieft hatten die Drei nicht gemerkt, dass sie inzwischen nicht mehr alleine waren. Kempe und Lehman standen bei ihnen und grinsten, als sie sahen, wie ineinander verschlungen Koch und Marie auf der Couch saßen, fast lagen. Heip zwinkerte den beiden zu und
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