Der Tuchhändler (German Edition)
die Reihe an mir zu glotzen. »Wir hielten es für sinnig. Daniel und Löw – Ihr wißt schon, der Prophet...«
Ich fühlte, wie mich ein irres Lachen in der Kehle kitzelte.
»Dann meint Ihr ...«, begann ich.
»Meinen Sohn«, unterbrach er und schluckte hart. »Daniel Löw.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist seit zwei Tagen verschwunden.«
»Verschwunden? Was soll das heißen?« fragte ich blöde. »Er war vorgestern abend noch bei mir.«
»Ich weiß«, rief er verzweifelt. »Ich habe schon einen Bediensteten zu Euch geschickt heute morgen, weil ich hoffte, er würde sich vielleicht noch auf Eurem Hof aufhalten.«
»Er ist einige Zeit nach der Vesper weggeritten«, murmelte ich. Er nickte.
»Er kam nie zu Hause an«, stöhnte er. Die Panik begann wieder, ihn zu übermannen, und er fing an, wild den Kopf zu schütteln. »Das hat er noch niemals getan«, ächzte er und hob eine Faust zum Mund. »Es ist ihm etwas zugestoßen. Großer Gott, ich weiß, daß ihm etwas zugestoßen ist.« Zu meiner Bestürzung füllten sich seine Augen mit Tränen, und er machte nicht einmal den Versuch, sie zurückzuhalten. Er riß mit den Zähnen an seinen Fingerknöcheln und stöhnte dumpf: »Lieber Gott, lieber Gott, lieber Gott.« Dann fing er an zu schluchzen.
Ich führte ihn zu dem Stuhl hinter Moniwids blankem Arbeitstisch. Er ließ sich hineinfallen, als hätten seine Beine keine Kraft mehr. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Moniwid uns einen wütenden Blick zuwarf.
»Was fehlt ihm denn, zum Teufel noch mal?« grollte er. Mir wurde bewußt, daß wir Bayrisch gesprochen hatten; der Pole hatte kein Wort verstanden. Er musterte den schluchzenden Löw voller Verachtung.
»Sein Sohn ist spurlos verschwunden«, erklärte ich.
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Sein Sohn ist der Arzt, den ich für Euch holen wollte«, brauste ich auf. »Stellt Euch doch nicht so hölzern an!«
Löw schaute auf und richtete seinen tränenblinden Blick auf den polnischen Ritter. Er schniefte krampfhaft und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Entschuldigt«, flüsterte er. Er besaß so viel Geistesgegenwart, daß er Latein sprach. »Ihr seid der Anführer der polnischen Ritter, nicht wahr? Entschuldigt, Herr. Es ist nur – mein Sohn ...«
»Es ist schon gut«, sagte Moniwid erstaunlich sanft.
Löw sah zu mir hoch.
»Was soll ich jetzt tun?« fragte er hilflos.
»Ist sein Pferd zurückgekehrt?« erkundigte ich mich.
»Nein. Vielleicht ist er in die Sümpfe geraten und mit ihm ertrunken«, stammelte er. »Oder Banditen haben ihn erschlagen und beraubt; oder ...«
»Hört auf!« fuhr ich ihn an. »Ihr macht Euch ja selbst verrückt.«
Unerwartet erhielt ich Unterstützung; Moniwid sagte in seiner groben Art vom Bett her, als ob er den alten Apotheker trösten wollte: »Das wäre das erste Pferd, das in einem Sumpf ersäuft.«
Ich starrte ihn an, aber er verzog keine Miene. Ich wandte mich wieder an Löw.
»Und wenn er wirklich Banditen in die Hände gefallen wäre, hättet Ihr jetzt eine Lösegeldforderung auf dem Tisch.« Zusammen mit einem seiner Finger oder einem Ohr, dachte ich, aber ich konnte es mir verkneifen weiterzusprechen.
»Ich habe versucht, den Stadtrichter zu erreichen«, murmelte Löw. »Wie es heißt, befindet er sich nicht in Landshut. Sein Stellvertreter ist unterwegs, um Quartier für den Kaiser zu machen, und hat keine Zeit. Nicht einmal der Stadtkämmerer wollte mich empfangen.«
»Was wolltet Ihr von ihnen?« fragte ich.
»Ich wollte, daß man mir Wappner gibt, um nach meinem Sohn zu suchen«, sagte er. »Aber niemand hat mich auch nur angehört.«
»Sie sind alle im Hochzeitsfieber«, brummte Moniwid verächtlich. »Was ist mit Euren eigenen Leuten?« erkundigte ich mich.
»Ich habe zwei Knechte, die mir beim Sammeln der Kräuter helfen«, sagte er resigniert. »Der eine ist ein alter Mann, der andere sein Enkel, der ein Idiot ist und nicht einmal sprechen kann, aber ein Auge für Heilkräuter hat. Die anderen sind Küchenhilfen und Mägde, die meiner Frau zur Hand gehen.«
Ich verzog das Gesicht, ohne etwas zu sagen. Er faßte plötzlich wieder nach mir und hielt meine Hand fest.
»Ihr werdet mir doch helfen, Herr Bernward, nicht wahr? Jetzt, da ich weiß, daß Ihr auch einen Sohn habt...«
Ich hatte befürchtet, daß er mich darum bitten würde. Ich schloß die Augen und dachte: Wie soll ich mich auch noch darum kümmern?
»Ich kann Euch ein paar Männer geben ...«, sagte ich zögernd.
»Ich
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