Der Tuchhändler (German Edition)
erklärt. Bis ich seine Leute aus dem Kerker in Burghausen befreit habe, vergeht zuviel Zeit. Wir können uns das nicht leisten.«
»Dann muß er eben ohne seine Leute reden«, sagte Moniwid lakonisch.
»Wie soll ich denn das anstellen?« rief ich.
»Das ist Eure Sache.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte ich ihn ... Ich ballte die Hände zu Fäusten und schlug damit gegen die Wand hinter seinem Bett. Er sah mir ausdruckslos dabei zu. Ich ließ die Fäuste sinken und keuchte erschöpft.
Löw meldete sich zu Wort.
»Herr Bernward, was hat das alles zu bedeuten? Was wißt Ihr über meinen Sohn?«
Ich wandte mich von Moniwid ab und kniete mich neben seinem Stuhl auf den Boden. Ich war im Knien ebenso groß wie er im Sitzen. Ich sagte auf bayrisch: »Herr Löw, Euer Sohn ist in einen Fall verwickelt, der von äußerster Tragweite ist und sehr kompliziert.«
»Ich will es gar nicht genau wissen«, meinte er müde. »Erklärt mir nur eines: Ihr glaubt, mein Sohn ist in Lebensgefahr, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich einfach. Er kämpfte die Tränen zurück, aber er wurde noch eine Spur blasser, wenn dies möglich war.
»Glaubt Ihr, daß er noch lebt?« hauchte er. Ich holte Atem, und er setzte hinzu: »Sagt mir um Gottes willen die Wahrheit.«
»Ja«, erwiderte ich nochmals. »Aber wir haben nicht mehr viel Zeit.« Sein Blick schweifte ab und richtete sich in die Ferne. Er atmete so schwer, als hätte er einen ganzen Tag bis zur Erschöpfung gearbeitet.
»Was passiert jetzt?« murmelte er von weither.
»Herr Moniwid würde seine Leute auf die Suche schicken; vielleicht finden sie eine Spur. Aber er stellt eine Bedingung.«
»Welche?«
»Ich muß ihm den Mörder der Nichte des polnischen Königs ausliefern«, sagte ich. Er zuckte nicht einmal zusammen. Die Aussage bedeutete ihm nichts.
»Könnt Ihr das?« fragte er wie im Traum.
»Nein. Aber ich kenne einen Mann, der es möglicherweise kann.«
»Und was werdet Ihr jetzt tun?«
»Ich werde zu diesem Mann gehen und ihn zum Reden bewegen«, sagte ich grimmig. Er nickte langsam. Er bedankte sich nicht. Ich stand auf und warf noch einen Blick auf ihn hinunter. Er saß leblos im Stuhl, und ich mußte unwillkürlich an die Stechpuppe draußen im Hof denken. Für den Augenblick hatte er seine Grenze erreicht; es hätte mich nicht gewundert, wenn er in den nächsten Minuten eingeschlafen wäre. Ich dachte an seine Familie, die nun auch auf ihn wartete, und hoffte, daß er ihnen gesagt hatte, wohin er sich begeben würde.
»Ich versuche, Reckel zu holen«, sagte ich zu Moniwid.
»Ihr solltet Euch besser um den Mord kümmern als um diesen armen Teufel dort«, sagte er garstig. »Ihr habt nur noch ein paar Tage.«
»Wie es aussieht, kümmere ich mich um beides gleichzeitig«, entgegnete ich. Ich trat zur Tür und öffnete sie. Er rief mir hinterher: »Was ist mit ihm?« Er deutete auf Löws zusammengesunkene Gestalt. »Wollt Ihr ihn etwa hierlassen?«
»Natürlich«, erwiderte ich.
»Was soll ich denn zum Henker mit ihm anfangen?«
»Gebt ihm etwas zu essen, wenn er hungrig ist«, sagte ich und verließ den Raum.
Das Tageslicht begann bereits zu schwinden, als ich in den Hof hinausstolperte, und ich war überrascht, daß der Tag schon wieder vorüber sein sollte. In Moniwids Zimmer hatte ich gar nicht wahrgenommen, wie die Helligkeit den Raum verließ und dem Zwielicht des späten Nachmittags Platz machte, und nun stellte ich fest, daß mir ein weiterer Tag zwischen den Händen zerronnen war. Ich dachte an Daniel Löw und hastete die Gasse hinauf zu Wolf gang Leutgebs Haus.
Ich fühlte mich bei weitem nicht so ruhig, wie ich mich drinnen vor Moniwid und Löw gegeben hatte. Im Gegenteil – ich spürte eine würgende Angst um den Sohn des Apothekers, die mich atemlos machte. Ich dachte: Du darfst nicht zulassen, daß diesem jungen Mann etwas zustößt; es kann nicht sein , daß ihm etwas passiert; aber ich wußte aus eigener Erfahrung, wie dünn die Decke der Normalität über dem Chaos von Tod und Zerstörung ist, das darunter lauert, und daß die, die verschont bleiben, es dem reinen Zufall zu verdanken haben. Ich wußte nicht, ob ich mit Gott sprach oder mit mir selbst, während ich über den aufgeweichten Boden lief, ich wußte nur, daß in dem Moment, in dem ich erfahren hatte, daß der junge Löw verschwunden war, eine Furcht mich gepackt hatte, die kaum größer gewesen wäre, hätte es sich um meinen eigenen Sohn gehandelt.
Und ich
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