Der Tuchhändler (German Edition)
zu seinem Sohn hoch. Der junge Mann gab den Blick zurück, dann heftete er seine Augen auf mich und fragte: »Was ist mit dem Mörder?«
»Einer meiner Knechte ist seit heute morgen abgängig. Ich glaube, daß er es gewesen ist. Er hat sie seit einiger Zeit umworben, und ich habe das Gefühl, sie hat in der Vergangenheit seinem Werben mehr als einmal nachgegeben. Vielleicht wollte sie es diesmal nicht tun. Versteht Ihr: Dieser Umstand kommt noch hinzu und macht es mir doppelt schwer, mit ihren Eltern zu sprechen.«
»Ihr werdet die Geschichte nicht geheimhalten können. Stellt Euch den Tratsch unter Euren Dienstboten vor.«
»Außer dem Verwalter und mir weiß niemand Bescheid. Die Tote liegt heimlich aufgebahrt in einem leeren Lagerraum.« Ich schloß den Mund und wußte im selben Moment, daß ich einen Fehler gemacht hatte: Der Apotheker und mein Verwalter kannten nun zwei unterschiedliche Versionen der Angelegenheit. Wenn sie nur einmal zusammentrafen, würde mein ganzes Lügengebäude einbrechen. Ich hätte mich ohrfeigen mögen. Lahm setzte ich nach: »Mein Verwalter ist völlig erschüttert. Er kannte das Mädchen gut. Aus diesem Grund bin ich selbst zu Euch gekommen. Er erträgt es nicht, sich jetzt mit der schrecklichen Angelegenheit zu befassen. Bitte sprecht ihn vorerst nicht darauf an.«
Sie zuckten beide mit den Schultern, in einer völlig identischen Geste: Vater und Sohn.
»Was wollt Ihr nun anfangen?« erkundigte sich der Apotheker.
»Ich habe bereits zwei meiner Knechte, auf die ich mich verlassen kann, auf die Spur des Mörders gesetzt. Sie haben Befehl, ihn nötigenfalls mit Gewalt nach Burghausen zu schaffen. Ich selbst werde die dortigen Behörden informieren. Ich will den Fall nicht in Landshut ans Licht zerren.«
»Sind Eure Geschäftspartner aus der Stadt?« fragte Löw mitfühlend.
»Aus der Umgebung«, antwortete ich vage.
Sie nickten beide.
»Ich will das Mädchen nun begraben lassen, damit ihre Seele Ruhe finden kann«, fuhr ich fort. »Es liegt mir daran, sie auf dem Friedhof auf meinem Hof zur Ruhe zu betten. Danach wird mir einfallen, was ich ihren Eltern berichten kann.«
»Und es muß möglichst bald geschehen, damit Euer Gesinde nicht Wind davon bekommt«, sagte der Sohn des Apothekers nüchtern.
»Wie habt Ihr ihr Verschwinden erklärt?«
»Ich habe verlauten lassen, sie sei mit dem geflohenen Knecht durchgebrannt.«
Mittlerweile hatte ich begonnen zu schwitzen. Vor allem der Sohn des Sebastian Löw stellte zu viele Fragen. Ich hatte nicht den Eindruck, daß er argwöhnisch war; er war nur neugierig. Aber er zwang mich zu hektischen Improvisationen. Ich wünschte mir, ich hätte doch verlangt, er solle uns alleine lassen.
»Hoffentlich kommt das den Eltern nicht zu Ohren«, sagte der Sohn des Löw, und ich hätte schreien mögen.
»Das habe ich in der Eile nicht bedacht«, erklärte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er sah mich an und hob die Schultern, als wolle er sagen: Man kann nicht an alles denken. Er sprach es aber nicht aus; im Gegenteil – endlich schwieg er. Ich wandte mich an seinen Vater.
»Ich dachte nun, Ihr könntet mir vielleicht helfen, Herr Löw. Ich brauche einen Totengräber, der die Beerdigung vornimmt.« Ich sprach zögernd, da ich nicht wußte, ob er es nicht als Zumutung auffaßte, nach einem Totengräber befragt zu werden. Aber seine Gesichtszüge veränderten sich nicht; er war ein praktisch denkender Mann. »Am besten noch heute: Mein Gesinde ist fast vollständig in der Stadt, um die Messe zu besuchen, und es wird niemandem auffallen.«
»Heute ist Feiertag«, sagte Löw nachdenklich und bewies, daß sein Reichtum nicht nur von geschickt angelegten Investitionen gekommen war. »Aber für ein entsprechendes Entgelt wird der eine oder andere sicher bereit sein …«
»Mit einem Totengräber ist es nicht getan«, mischte sich der junge Löw ein. »Ihr braucht einen Arzt, der die Todesursache beurkundet.«
Ich starrte ihn vollkommen überrascht an. Im ersten Moment konnte ich nichts darauf erwidern; eine vage Erinnerung lähmte meine Zunge. Ein älterer Mann, der professionelles Mitleid ausstrahlte, während er mich sanft von der Seite meiner toten Gattin schob und lateinische Phrasen murmelte; wahrscheinlich hatte ihn mein damaliger Verwalter kommen lassen. Eine Urkunde, die ich tränenblind und kraftlos unterzeichnete, ohne sie zu lesen – wenn ich sie überhaupt wahrnahm, dann in der Hoffnung, es möge mein Todesurteil sein, das
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