Der Turm der Könige
Schlafzimmer war. Sie muss mir den Namen nicht verraten. Typen von seiner Sorte glauben, sie könnten sich ungestraft an den Töchtern der einfachen Leute vergreifen. Diesen Dreckskerl werde ich mit meinen eigenen Händen entmannen.«
»Nein, Papa, bitte«, schluchzte Julita.
»Du sei still!«, brüllte Cristóbal.
»
Du
bist jetzt still!«, fuhr ihm der Flusswächter über den Mund. Er war ernst wie nie zuvor. »Du hast gestern zum letzten Mal dieses Mädchen geschlagen und die Hand gegen meine Frau erhoben. Wir haben dich wie einen Sohn aufgenommen, obwohl du Consuelito wahrhaftig kein guter Ehemann warst. Wir haben dir ein Dach über dem Kopf gegeben, du hattest immer eine Mahlzeit auf dem Tisch und ein sauberes Hemd im Schrank … Wir haben deine Kinder großgezogen, als ob es unsere eigenen wären … Ein Kerl, der Anstand im Leib hat, vergilt das nicht mit Trunksucht und Prügeln. Ein anständiger Kerl schlägt keine Frauen.« Der Schwiegervater senkte den Kopf und setzte hinzu: »Ich will, dass du noch heute mein Haus verlässt.«
10 Ostersonntag
Nur eine Wahrheit gibt es: Die Bauern sind wir in der geheimnisvollen Partie, welche Allah spielt. Er bewegt uns, hält uns an, schiebt uns voran, um uns schließlich einen um den anderen in die Kiste des Nichts zu werfen.
OMAR KHAYYAM ,
Rubaiyat
C ristóbal stand vor dem Scherbenhaufen seines Lebens. Ihm wurde bewusst, dass er zweiundfünfzig Jahre alt war und seine Zeit damit verschwendet hatte, darüber nachzusinnen, wie er seinen Rivalen loswerden konnte, und darauf zu warten, dass seine Träume in Erfüllung gingen. Irgendwann würde er ein besseres Leben haben, das hatte er immer gedacht. Und so waren die Tage, die Wochen, die Jahre vergangen. Er hatte das Hier und Jetzt nie genossen und merkte, dass es zu spät war, um dies zu lernen. Zu allem Überfluss war sein Sohn Cristo nicht da, um ihn zu trösten, der einzige Mensch auf der Welt, der ihn verstand.
Er sah sich in diesem ehelichen Schlafzimmer um, das niemals zu seinem eigenen geworden war. Der Geist jenes zurückhaltenden Mädchens, das eine Zeitlang seine Frau gewesen war und an dessen Gesichtszüge er nur noch verschwommene Erinnerungen hatte, schwebte nach wie vor über den Heiligenaltären, den Kerzen, den Häkelgardinen und der Spitzendecke. In der Bürste auf dem Frisiertisch befanden sich noch Haare von ihr. Cristóbal roch daran, um zu sehen, ob sie noch nach ihr dufteten. In diesem Augenblick bereute er, dass er sich nicht bemüht hatte, sie zu lieben. Ihn dürstete nach Zärtlichkeit, nach ehelichen Umarmungen, alltäglicher Vertrautheit. Aber er konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Die Zeit … diese verdammte Zeit.
Ein salziger Geschmack füllte seinen Mund. Seine Augen liefen über vor Tränen wie Regenrinnen in einer stürmischen Nacht. Er wischte sie wütend mit dem Handrücken weg und fuhr mit den Hemdsärmeln darüber, bis diese so durchnässt waren, dass sie keine weitere Feuchtigkeit mehr aufnehmen konnten.
Schniefend packte er seine Habseligkeiten zusammen, während er auf León de Montenegro fluchte, diesen Mistkerl, der aus seinem Leben eine einzige Niederlage gemacht hatte. Seinetwegen war er ein einfacher Druckermeister geblieben, während doch alles darauf hingedeutet hatte, dass er einmal Besitzer einer Druckerei werden würde. Seinetwegen besaß er kein eigenes Haus und hatte all die Jahre bei seinen Schwiegereltern gewohnt. Wegen dieses Piraten hatte die Frau seines Lebens ihn nicht geliebt, ja, ihn nicht einmal als Mann wahrgenommen. León de Montenegro würde sich im Himmel ausschütteln vor Lachen, wenn er sah, wie sich die Geschichte wiederholte und sein Sohn Abel ihm Julita wegnahm, seine Tochter, die ihm gehörte. Und jetzt stand er auch noch auf der Straße!
Cristóbal hätte diesen Rotzbengel wie ein Kaninchen totschlagen sollen, als er noch ein kleines Kind war. Gleich damals an seinem ersten Geburtstag. Zu gerne hätte er ihn ganz langsam erwürgt und sich an seinem Leiden ergötzt, um so seinen Rachedurst zu stillen und seinen Hass zu lindern. Er hatte es nicht getan, weil er dem »Alten Weisen« versprochen hatte, den Jungen auf Schritt und Tritt zu überwachen. Und außerdem hätte Doña Julia ihm das nie verziehen. Doch diesmal lag die Sache anders. Diese Schmähung war viel schlimmer, als mit einer Torte zu stolpern. Nur Abel de Montenegros Tod konnte diese demütigende Kränkung vergelten.
Er verließ das Haus, ohne sich zu verabschieden, seine
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