Der Turm der Könige
elfenbeinernen Elefanten in der Hand. Das Symbol des Paktes kehrte in die Hände des Ordens von San Juan de Acre zurück. Vielleicht hätte es sie nie verlassen dürfen, dachte er. Jahrhundertelang hatten die Mitglieder seines Ordens ihre Mönche heimlich auf die alles entscheidende Partie vorbereitet. Doch León hatte bewiesen, dass er besser war als sie alle, obwohl er nur ein Laienbruder war. Er war sich so sicher gewesen, die letzte Partie spielen zu können.
Was nun?, fragte sich Bruder Dámaso. Die Muslime ließen nicht locker, und ihre Forderungen waren zwar höflich, nahmen jedoch einen zunehmend drängenden Ton an. Und er konnte ihnen keinen Vorwurf deswegen machen. Sie hatten viel Geduld gehabt.
Dank Leóns geschickter Vermittlung war der marokkanische Botschafter auf die von Karl III . gestellte Bedingung eingegangen, dass zunächst der von beiden Herrschern unterzeichnete Originalvertrag gefunden werden müsse. Außerdem hatten sie eingewilligt, abzuwarten, bis der neue Auserwählte, dieser Knabe mit dem nachdenklichen Blick, alt genug war, um zu spielen.
In all diesen Jahren hatten die Mönche von San Juan de Acre unermüdlich nach dem Dokument gesucht. Die Vermutung, Don Manuel López de Haro könne es in die Neue Welt mitgenommen haben, lenkte die Suche in diese Richtung, doch das Ergebnis war auch hier ein vollständiges Scheitern, an das sie mehrere kostbare Jahre verschwendet hatten. Der marokkanische Botschafter begann, Zweifel daran zu äußern, dass die Mönche des Johanniterordens tatsächlich alles daransetzten, den verschollenen Vertrag zu finden. Und jetzt weigerte sich dieser Bursche, die ehrenvolle Aufgabe anzunehmen, die ihm sein Vater hinterlassen hatte!
Mit einem tiefen Seufzer sandte Bruder Dámaso ein Stoßgebet gen Himmel.
***
ALS CRISTÓBAL ZAPATA AM NÄCHSTEN MORGEN aufwachte, war der Rausch der vergangenen Nacht noch nicht ganz verflogen. Während er sich aufsetzte, hatte er das Gefühl, dass sein Schädel größer war als gewöhnlich und schwer wie ein Kürbis. Er musste eine Weile auf der Bettkante sitzen bleiben, rieb sich die Augen und bemerkte angewidert den pelzigen Geschmack im Mund. Dann stand er auf, um die Vorhänge zu öffnen. Nur mühsam gewöhnte er sich an das Tageslicht, während er sich selbst immer wieder sagte, dass er nicht geträumt hatte. Er war sich sicher: Er hatte Abel de Montenegro von dem Baum klettern gesehen, der vor dem Zimmerfenster seiner Tochter stand. Der über Jahre angestaute Hass fuhr ihm in die Magengrube, und er rannte im Zimmer auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Zu seiner Wut kam noch der dicke Schädel. Er lief hin und her und dachte sich Tausende von Foltern für diesen Sohn eines Piraten aus, der in diesem Moment mit seinem Vater León für ihn ein und dieselbe Person war. In seinem pochenden Schädel verschwamm die Liebe zwischen León und Doña Julia mit jener zwischen Abel und seiner Tochter.
Aus Wut wurde Trübsinn. Cristóbal musste schlucken, um nicht loszuheulen. Er machte sich Vorhaltungen, weil er zugelassen hatte, dass Julita gemeinsam mit Abel aufwuchs, diesem nichtsnutzigen Kerl, der keine Moral hatte und keine Skrupel kannte, und der glaubte, seine gesellschaftliche Position erlaube es ihm, sich an einfache Mädchen wie seine Tochter heranzumachen. Cristóbal ließ eine lange Tirade von Schimpfwörtern los und verdammte seine missratenen, miesen Vorfahren, denen er die Schuld daran gab, dass er auf diese elende Welt gekommen war. Von dem Altar über seinem Bett sah ihn mit innigem Blick der gekreuzigte Jesus an.
»Warum? Warum? Warum?«, schrie er ihm entgegen.
Aber die Statue schien sich über seinen Kummer lustig zu machen und lächelte auf eine Art und Weise, die Cristóbal spöttisch vorkam. Mit einer Handbewegung fegte er sie zu Boden. Die Figur zersprang in tausend Stücke. Da hörte er die Stimme seines Schwiegervaters auf der anderen Seite der Tür.
»Hör auf, hier herumzuwüten, Cristóbal, und komm endlich raus. Sonst rufe ich die Stadtbüttel.«
Als er öffnete, erschrak er. Er blickte direkt in das geschwollene Gesicht seiner Tochter. Dann erinnerte er sich undeutlich an seine Faust, das blutverschmierte weiße Nachthemd, die angsterfüllten Augen, die Schreie …
»Tut mir leid, was heute Nacht passiert ist«, sagte er, an seine Schwiegereltern gewandt, die ihn geringschätzig anblickten, ohne ein Wort zu sagen, »aber ich werde die Angelegenheit regeln. Ich weiß, wer gestern bei meiner Tochter im
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